Braid

(Artikel)
Rian Voß, 12. August 2008

Braid

Wieso eigentlich Zopf?

Das wird nämlich irgendwie nicht so wirklich geklärt. Klar, an der einen Stelle soll die Prinzessin Tim im Sinne einer abweisenden Drehung ihren Zopf ins Gesicht geschlagen haben, aber... Hey, jetzt macht das plötzlich doch Sinn.


Keine Ahnung, woher das kommt, aber Braid erinnert mich irgendwie an Vanilla Sky...
Aber mal kurz nach draußen gezoomt, bevor wir uns auf den verwirrendsten Teil stürzen. Braid, ein Xbox Live Arcade-Spiel von Jonathan Blow, ist ein 2D-Puzzle-Plattformer der obersten Güteklasse und mit einem ebenso stolzen Preis von 1.200 MS-Points (umgerechnet immerhin gut 12 €) besetzt. Da das Spiel für einen geübten Knobelspieler keine andauernde Herausforderung stellt und mich insgesamt auch nur einen Tag beschäftigt hat, stellt sich dem geneigten Spieler die Frage, ob so ein Preis, für den man im Budget-Regal Vollversionen von älteren Spielen abgreifen kann, wirklich die Spieleerfahrung wert ist, aber das sollte wohl jeder für sich selbst entscheiden, darum spare ich großes Für und Wider in der Sache jetzt mal aus.

Um gleich mal einen guten Eindruck vom Spielegefühl Braids zu vermitteln, lässt sich ein Freeware-Spiel für einen Vergleich hervorragend herbeiziehen: Knytt Stories. Ebenfalls ein Plattformer mit einer sehr eigentümlichen Atmosphäre, allerdings mehr auf das Reaktionskonzept von Jump 'n' Runs fokussiert. Braid ist da anders. Während man die Rolle des etwas dümmlich dreinschauenden Tim übernimmt (der hat ja eine Gesichtsstarre wie Max Payne!) muss man sich nicht nur kleiner Gumbas armloser Feinde als Sprunghilfe bedienen, sondern bestimmte Schlüssel finden, Türen öffnen, Puzzleteile einsammeln und schlussendlich eine Prinzessin retten. Vorletztere sind dabei zum Beenden des Spiels zwar nicht essentiell nötig, aber... Aber es gibt sie! Man muss sie finden und zusammensetzen, sonst ist das Spiel nicht komplett! Das geht doch nicht! Unfertige Puzzles! Das darf nicht sein! Die müssen fertiggestellt werden! ...entschuldigt meine Zwangsneurose.


Andererseits aber auch irgendwie wieder an Mario...
Um seine Geliebte aus den, wie das Spiel es beschreibt, Klauen eines Monsters zu retten und die wichtigen Puzzleteile zu finden, muss sich Tim dabei in wunderbar von David Hellman, dem Zeichner des Webcomics A lesson is learned, but the damage is irreversible, illustrierten Umgebungen seiner besonderen Fähigkeit des Zeit-Zurückdrehens bedienen. Dabei ist diese Eigenschaft nicht nur nützlich, wenn Tim mal das Zeitliche segnet (passiert oft), sondern auch, um bestimmte Rätsel zu lösen. So symbolisiert ein grüner Schimmer um einen Schlüssel etwa, dass jener zeitunabhängig ist, also von Tims Rückspulwahnsinn nicht betroffen wird. Wie kriegt man den nun aus einer Grube ohne Widerkehr heraus? Ganz einfach: Runterspringen, Schlüssel greifen, zurückspulen. Da der Schlüssel vom Zurückspulen nicht betroffen wird, hält Tim selbst im Rücklauf noch den goldenen Türöffner fest im Griff und steht dann mit ihm am Rande des Abgrundes ohne jemals heruntergesprungen zu sein. Bei einem anderen Rätsel kann es dann auch passieren, dass eine Tür zeitunabhängig ist, der Schlüssel jedoch nicht. So lässt sich mit dem Schlüssel die Tür öffnen, man spult zurück und die Tür bleibt offen - dabei hält man den Schlüssel immer noch in der Hand und kann ihn so locker-flockig ein zweites Mal bei einer anderen Tür verwenden.


...Oder geht das nur mir so?
Ihr seht schon: Man muss ein bisschen logisch-unlogisch denken und den ganzen Unsinn über Zeit-Paradoxen vergessen. So einen Müll kann sich auch nur Einstein ausdenken. Wenn überhaupt. Jetzt kommt aber noch erschwerend hinzu, dass nicht nur Tim und Items oder Gegner (auch die können mal grünlich schimmern) besondere Eigenschaften haben, sondern auch ganze Level an sich. Ein besonderer Design-Höhepunkt ist da Welt 4, in der die Zeit nur vorwärts läuft, wenn man sich nach rechts bewegt, und dementsprechend zurück, wenn man auf den linken Bildschirmrand zugeht. Das kann schon derbe frustrieren, wenn man in einem kleinen Level alle Gegner tothopsen soll, damit sich eine Tür öffnet, und die mickrigen Biester erwachen ungewollt ständig wieder zum Leben! In anderen der insgesamt sechs Welten erhält Tim dann etwa auch die Fähigkeit, durch das Zurückspulen einen Doppelgänger zu erzeugen, der für ihn Schalter umlegt, oder er kann einen Ring droppen, der in einem kleinen Gebiet die Zeit verlangsamt (sehr praktisch bei schnell feuernden Kanonen).


Nicht alles ist quietschbunt. Level sehen gerne unterschiedlich aus und grade die stimmige Eingangsstadt hebt sich sehr vom Rest des Spieles ab.
Das war allerdings noch nicht alles. Neben wirklich einprägsamem Gameplay-, Level- und Grafikdesign verfügt Braid noch über hervorragend verträumte Musikstücke (besonders das Hauptthema hat es mir angetan. Erinnert mich etwas an den Film The Fountain) und eine wahrlich verwirrende Storyline. Wie bereits erwähnt sucht Tim nach einer Prinzessin. Theoretisch. Die bunten Traumwelten betritt Tim über Türen in seinem dunklen Großstadt-Atelier und die kurzen Erzählungen, die jede Welt einleiten, geben einem stark das Gefühl, hier würde sehr viel im übertragenen Sinne gesprochen werden. So als wäre die Suche nach der Prinzessin die Suche nach dem Glück oder die Erfüllung seiner Träume. Aber, um ehrlich zu sein, habe ich irgendwie so gar nichts kapiert, da geht selbst meine Deutsch-LK- und Philosophie-Unterrichts-Bildung zum Teufel. Werde mich demnächst noch einmal an das Verstehen der Geschichte wagen, daran wahrscheinlich verzweifeln und dann Interpretationen im Internets anlesen. Ich erbärmliches Stück, ich.

Insgesamt erinnerte mich die (zwar abzusehende) kurze Spieleerfahrung (was mich ein wenig enttäuschte) an meine Zeit mit dem echten Spiel des Jahres 2007: Portal. Eine Geschichte, die einem zum Nachdenken anregt, ein stummer Held, mit dem man trotz allem Mitgefühl entwickelt, in sich stimmiges Rätsel-Gameplay und ein Ende, das sich wirklich, wirklich gewaschen hat. Bei Portal konnte ich kaum aufrecht sitzen, weil ich so lachen musste, bei Braid wurden mir die Augen immer größer, als ich verstand, was da eben eigentlich passiert ist. Einfach umwerfend. Insofern schon eine Erfahrung, die man gemacht haben sollte.

Ich kann euch Braid auf jeden Fall wärmstens empfehlen und auch wenn ich euch nicht dazu zwingen kann, die 12 € zu bezahlen, so solltet ihr einmal die Trial anspielen. In der Regel ist es dann eh um euch geschehen. Und bei der Spielegrotte kann man sich per Bankeinzug sofort MS-Points kaufen und online anzeigen lassen, wenn ihr es denn braucht! Rian

P.S.: Meine Güte, die Sache mit dem Kurz-vor-Mitternacht-Einschlafen scheint sich zur DPad-Krankheit entwickeln. Da will man mal für ein Stündchen seine Kopfschmerzen auskurieren und dann sowas...

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