Far Cry 4 im Test

(Artikel)
Benjamin Strobel, 15. Dezember 2014

Far Cry 4 im Test

Schleichen, Ballern, Elefanten reiten

Far Cry ist einen weiten Weg gekommen. Angefangen als Showcase-Titel von Crytek, ging die Franchise schon 2005 in die Hände von Ubisoft Montreal über. Seither schmiedet das Studio neue Spiele unter diesem Titel. Es war allerdings erst 2012, als die Reihe mit Far Cry 3 durch die Decke schoss und einen neuen Standard setzte. Far Cry 4 ist die logische Konsequenz des Erfolgs: mehr Far Cry 3.

Ajay ist in Kyrat geboren, in den Himalayas Südasiens. Seine Mutter floh mit ihm nach Amerika, als er noch ein Kind war. Bevor sie stirbt, betraut sie ihren Sohn mit dem letzten Wunsch, ihre Asche in ihrer Heimat Kyrat zu verstreuen. Dort allerdings tobt ein Bürgerkrieg, in dem die unterdrückten Bürger den selbsternannten König Pagan Min bekämpfen. Ajay gerät zwischen die Fronten und schließt sich der Widerstandsbewegung an, dem so genannten Golden Path.

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Das Gebirge lebt
Far Cry 4 ist ein visueller Kracher. Das liegt nicht nur an der Auflösung von Texturen und hervorragenden Lichteffekten. Es liegt nicht nur an den wahnsinnig beeindruckenden Himalayas im Spiel. Es ist eine Lebendigkeit und Echtheit der Welt, die jeden Zuschauer in meinem Wohnzimmer zum Staunen brachte. Äste und Gräser bewegen sich im Wind. Wenn ich durch einen Strauch krieche, krümmen sich die Äste, Blätter vor meinen Augen werden unscharf, bis auch sie schließlich wegknicken. Nebelbänke liegen früh morgens über den Grasflächen der Täler, Bäche plätschern. Zur perfekten Illusion der Flora gesellt sich eine lebendige Fauna, die ein ganzes Ökosystem abzubilden scheint. Adler kreisen über den Bergen und schnappen im Sturzflug kleine Säugetiere vom Boden weg. Tiger pirschen sich an Rinder heran und stürzen sich aus dem Hinterhalt auf ihre Beute. Elefanten trotten gemütlich an Flüssen entlang, trinken, und duschen sich mit dem Rüssel. Es ist beinahe so als hätten die Tiere einen Tagesablauf, als hätten sie Bedürfnisse und Wünsche, denen sie nachgehen. Ganz ohne Zutun des Spielers können sich die wildesten Szenerien abspielen. Einmal höre ich aus der Ferne Schüsse und Geschrei. Ich hätte nicht gewusst, woher genau die Stimmen kommen, hätte eine aufgeschreckte Büffelherde nicht vor den Schüssen Reißaus genommen. Ich spähe mit dem Fernglas in die Richtung, aus der die Tiere gekommen sind: ein feindlicher Kämpfer wird von einem Adler angegriffen und schießt unbeholfen in die Luft. Jetzt bin ich gewarnt und kann mich vorbei schleichen.

Lebendigkeit heißt Unvorhersehbarkeit. Und die ist wichtig für ein so offenes und freies Spiel wie Far Cry 4. Es passiert nicht einfach, dass man in den Open-World-Alltagstrott gerät und blindlings von Icon zu Icon rennt. Die Umgebung weiß auf sich aufmerksam zu machen und so manches Mal ist es der sichere Tod, nicht auf sie zu achten.

Der Tod lauert überall
Die Welt von Far Cry 4 ist harsch. Tiere sind oft aggressiver als es von ihren realen Vorbildern zu erwarten wäre. Aber es wäre ja auch langweilig, wenn ein Tag verginge, an dem kein Tiger offenen Maules aus dem Busch gesprungen käme. Und was für die Tierwelt gilt, zählt für Menschen zweimal mehr. Auf den Straßen von Kyrat patrouillieren feindliche Fahrzeuge, an vielen Orten trifft man auch kleine Marschtrupps. Einmal starte ich gerade einen Van in der Basis, da schießt von der Seite ein Jeep heran und schiebt mich die nächste Klippe herunter. Ein anderes Mal war ich auf Schweinejagd, um meinen Loot-Beutel upzugraden, da wurden plötzlich ein General und seine Leibwache auf mich aufmerksam und jagten mich durch den Wald. Unter den Feinden gibt es jetzt übrigens auch Jäger, die durch fiese Ninja-Tricks hervorstechen. Sie können mit dem Fernglas zwar markiert werden, verlieren diese Markierung aber nach kurzer Zeit wieder. Zu allem Überfluss können sie auch noch Tiere unter ihre Kontrolle bringen und auf den Spieler hetzen! Man hat es nicht leicht in Kyrat. Auf offener Straße wird man erschossen, in den Büschen von Tieren zerfleischt. Manchmal stürzt man auch einfach einen Hang herunter.

Solche Gefahren kennen wir schon aus dem Vorgänger. Damit es nicht langweilig wird, zaubern die Entwickler etwas Neues aus dem Hut: Karma-Events. Karma-Punkte verdient man sich durch unterschiedliche Hilfeleistung beim Golden Path, ähnlich wie Erfahrungspunkte. Verhält man sich allerdings ungebührlich oder schießt gar seine Kameraden tot, werden Punkte auch wieder abgezogen. Für Nachschub ist aber gesorgt, denn die Karma-Events können jederzeit und überall auftreten. Mal muss man eine Geisel befreien, mal einen General ausschalten oder einen flüchtigen Feind verfolgen. Die Aufgaben sind generisch, aber schnell erledigt. Hat man viele Karma-Punkte gehamstert, bringt das auch Vorteile wie z. B. Rabatte bei den Händlern.
Ab und zu kann es sogar vorkommen, dass ein bereits eingenommener Außenposten angegriffen wird. Sodann muss man herbei eilen und mit seinen Kameraden das Lager verteidigen. Diese Situationen sind gar nicht so leicht, da man es mit großen Mengen an Feinden zu tun bekommt. Es ist ziemlich witzig, da man sonst selbst derjenige ist, der die Außenposten angreift und nun mal die andere Perspektive kennenlernt.

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Viele bunte Icons
Die heute unverkennbare Handschrift von Ubisoft: eine Überflutung der Weltkarte mit bunten Icons. Das sind überwiegend bedeutungslose Nebenaufgaben, die sich mit den Beschäftigungstherapien eines mäßigen MMOs die Hand reichen können. In Far Cry 4 kann man jagen gehen, Geiseln befreien, Rennen fahren und einiges mehr. Das Problem: kennt man eine Mission, kennt man alle. Man kann sich immer wieder Erfahrungspunkte damit verdienen, eine spannende Erfahrung ist es allerdings nur selten. Warum solche Quests es erneut ins Spiel geschafft haben, ist schon etwas seltsam: das Spieldesign spricht Bände davon, dass die Entwickler sehr wohl wissen, welche Missionen den Spielern Freude machen und welche nicht. So wurden die Spitzenbeschäftigungen des Vorgängers - Außenposten und Funktürme - weiter ausgebaut und spielen sich besser denn je. Wie beim Vorgänger kann mich sich stets entscheiden, ob man schleicht, meuchelt und mit leisen Pfeilen Headshots verteilt oder ob man auf einem Jeep die Basis stürmt, Granaten wirft und Raketen abfeuert. Schleichen gibt in der Regel mehr Punkte, aber Explosionen sind manchmal einfach lustiger.

Jedes Lager ist einzigartig, jeder Funkturm ist ein kleines Kletterrätsel und beide machen wirklich Spaß. Das müssen sie auch: Sie sind unter den optionalen Zielen mit Abstand die wichtigsten. Ohne Funktürme bleibt die Weltkarte unter weißem Nebel verdeckt und solange der Feind seine Outposts konrolliert, wimmelt es nur so von Patrouillen, die einen daran hindern, das Land unbehelligt zu durchqueren. Es ergibt Sinn, sich um diese Aufgaben zu kümmern, und so ist man auch motiviert, sie zu übernehmen. Deshalb ist es auch gut, dass sie die bestkonstruierten und unterhaltsamsten Aufgaben im ganzen Spiel sind.

Ob ich Geiseln rette oder nicht, ob ich Transporte von A nach B bringe oder nicht, das spielt für mein Fortkommen gar keine Rolle; ich kann diese Bitten ignorieren und meines Weges gehen. Ein unerklommener Turm jedoch verweigert mir Einsicht in die Karte. Es zeugt von gesundem Bewusstsein der Entwickler, dass die spannenden Missionen im Vordergrund stehen. Ich wünsche mir für Far Cry genauso wie für viele andere Spiele, dass überflüssige Quests endlich verschwinden. Uninspiriert und mechanisch ziehen sie die Spielzeit in die Länge ohne Mehrwert zu bieten. Ein sonst so gut designtes Spiel wie Far Cry 4 hat das bunte Durcheinander von Icons unter Schichten von Icons überhaupt nicht nötig.

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Jäger und Gejagte.

Die Kampagne in der Sandbox
Die offene und optionale Struktur von Far Cry 4 macht es effektiv zu einer Sandbox. Man kann die Welt frei bereisen und erkunden, solange man ihren Gefahren trotzt. An jeder Ecke stehen Fahrzeuge, Gleiter, Jetskis, Hovercrafts oder Helikopter - selten muss man weit gehen, um ein Fortbewegungsmittel zu finden. Es macht inhaltlich zwar überhaupt keinen Sinn, dass überall so viel unbenutztes Zeug rumsteht, spielerisch ist es aber essentiell, um dem Spieler keine Steine in den Weg zu legen. Man kann sogar auf Elefanten reiten, sobald man den entsprechenden Skill freigeschaltet hat. Was ist an Elefanten besser als an Autos? Autos können Leute nicht mit ihrem Rüssel durch die Luft wirbeln. Auch das Terrain kommt mit wenigen Grenzen aus: es ist extrem bergig und krasse Höhenunterschiede sind die Normalität. In der Realität wie auch im Spiel kann so eine Umgebung echte Herausforderung darstellen. Dafür bekommt man schon zu Beginn einen Grappling-Hook, mit dem man an unzähligen Stellen im Spiel steile Hänge einfach hinauf klettern oder sich von einem Vorsprung zum nächsten schwingen kann. Ebenso stehen schon nach kurzer Zeit viele Feuerwaffen zur Verfügung, zusammen mit Flammenwerfern, Granaten und anderen Sprengstoffen. Es gibt neuerdings sogar Wanderhändler überall auf der Karte, sodass man nicht mehr zwingend in eine Basis zurückkehren muss, um Zugriff auf sein Arsenal zu erhalten. So kann man sich on the fly immer so ausrüsten, wie es einem gefällt, alle Hilfsmittel sind immer nur wenige Handgriffe entfernt.

Ein besonderes Werkzeug in dieser Kiste sind die Kampagnen-Missionen, die den Plot vorantreiben. In der lebendigen Welt von Far Cry 4 ist es gar nicht so leicht, zielstrebig auf einen Punkt zuzugehen, da es immer neue Ablenkungen gibt, die Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Bevor man neues Gebiet erkundet, macht man erst mal einen Umweg zum entsprechenden Funkturm und dann, wenn es ohnehin auf dem Weg liegt, räuchert man noch einen Außenposten aus. Und so ist schon wieder eine Stunde ins Land gegangen, bis man tatsächlich vor dem Icon der nächsten Story-Mission steht.

Die Kampagnen-Level sprühen vor Abwechslung. Mal muss man ein Lager infiltrieren, mal das eigene verteidigen, ein anderes mal eine Opiumfarm abfackeln. Manchmal muss man sich zwischen zwei verschiedenen Zielen entscheiden, denn die beiden Köpfe des Golden Path sind sich nicht immer einig. Sabal setzt auf traditionelle Werte, Amita möchte tun, was nötig ist, auch wenn man sich dafür die Hände schmutzig macht. Die Seiten sind selten schwarz und weiß, so muss man einfach tun, was man für richtig hält. Für welchen Weg man sich entscheidet, wird anschließend die Kampagnen-Mission beeinflussen und den Favoriten als Anführer etablieren - bis zur nächsten Entscheidung. Die Idee passt gut ins Konzept, denn auch sonst geht es vor allem darum, das zu tun, worauf man gerade Lust hat. Die Individualisierung des Spielerlebnisses reicht nun auch bis in die Kampagnen-Missionen. Eure Entscheidungen laufen übrigens nicht ins Leere, sondern werden gemeinsam beeinflussen, wie Far Cry 4 für euch ausgeht.

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Elefant > Auto.

Der Sandbox-Aspekt des Spiels wird durch den Koop-Modus umso mehr betont. Gab es beim Vorgänger noch separate Koop-Missionen, kann man jetzt gemeinsam die gesamte Spielkarte unsicher machen. Kampagnen-Missionen sind hierbei abgeschaltet, sonst kann man fast alle Events gemeinsam spielen. Das ist vor allem interessant, um Außenposten und Festungen einzunehmen. Besonders die schwierigen Festungen sind mit zwei Spielern etwas besser zu bewältigen. Kaum etwas ist unterhaltsamer als auf zwei Elefanten eine Burg zu stürmen und mit Autos um sich zu werfen bis alle tot sind. Oder man geht zusammen Wildschweine jagen, das ist ein bisschen entspannter.

Far Cry 4 ist ein großartiges Spiel. Obwohl es in fast allen Belangen seinen Vorgänger übertrifft, schafft der Titel aber nicht den Sprung heraus aus dem Schatten von Far Cry 3. Es trumpft mit denselben Stärken auf, kränkelt an denselben Schwächen. Es ist größer und schöner, doch wenn man mit den Augen nur leicht blinzelt, sieht es beinahe aus wie das gleiche Spiel. Aber keine Angst, das Spielprinzip weiß noch immer zu überzeugen. Außerdem kann man auf Elefanten reiten. Ben

Far Cry 4 wurde auf der Xbox One getestet. Ein Testmuster wurde uns von Ubisoft zur Verfügung gestellt.

Far Cry 4

(Ranking)
A
RANK
Reife Leistung. A-Spiele machen alles richtig oder sind nah dran. Kleine Schwächen werden durch Stärken mehr als wett gemacht. Das ist Spieldesign auf hohem Niveau.

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29. März 2024 um 07:57 Uhr
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