Shin Megami Tensei IV im Test

(Artikel)
Haris Odobašic, 19. November 2014

Shin Megami Tensei IV im Test

Das Warten hat sich gelohnt

Wenn mich jemand fragt, wieso ich so böse auf Nintendo wegen ihrer zweifelhaften Regionensperre-Politik bin, verweise ich immer wieder gerne auf Shin Megami Tensei IV. Im Sommer vorigen Jahres in den USA erschienen, hat es fast anderthalb Jahre gebraucht, bis es das Spiel auch nach Europa geschafft hat. Nicht etwa lokalisiert, sondern komplett inhaltsgleich zur amerikanischen Version. Ein langes Publisher-Hin-und-Her führte zur Verzögerung, die dafür sorgte, dass alle Fans der SMT-Reihe, zu der unter anderem auch die Persona-Spiele zählen, leiden mussten, da nun mal noch keine Möglichkeit existiert, Nintendos Region Lock zu umgehen. Es war eine Situation wie um die Jahrtausendwende herum, als uns Europäern so mancher Leckerbissen aus dem JRPG-Bereich verwehrt blieb. Doch Ende Oktober war es schließlich so weit, SMT IV ist in Europa erschienen. Zwar nur als digitaler Download, dafür aber zum absoluten Schnäppchenpreis von 19,99 €. Und die Wartezeit hat sich mehr als gelohnt!

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Ihr schlüpft in die Haut von Flynn, einem gewöhnlichen Bürger des mittelalterlichen Königreiches Mikado, der sich auf den Weg zur Hauptstadt macht, um sich der Samurai-Prüfung zu unterziehen. Es gilt einen "magischen" Handschuh anzuziehen – ein Stück sehr weit entwickelter Technologie – und, wie erwartet, wird Flynn von ihm auserwählt. Fortan ist er einer der Samurai und hat dank des Handschuhes die Macht, Dämonen zu beschwören. Mit dieser Gabe ausgestattet erfüllt ihr Missionen für den Samurai-Orden. Die stellen eure Welt schnell auf den Kopf, denn nach einem Trip in den lokalen Dungeon landet ihr in der Unterwelt von Mikado, einem post-apokalyptischen Tokio, welches vollkommen von Dämonen überrannt ist.

Wie es typisch für die Spiele unter dem SMT-Banner ist, sind auch bei Shin Megami Tensei IV die Dämonen zentralster Bestandteil. Dieses Mal gibt es mehr als 400 Stück -- das ist Rekord für die Reihe -- die sich, zusammen mit einigen Eigendesigns, aus allerlei Sagen, Mythen und Legenden rekrutieren. Von japanischen Göttern über irische Gigantenkönige bis hin zu muslimischen Engeln gibt es hier weitreichendes Multikulti, das wohl so in keinem anderen Spiel existiert.

Diese Dämonen sind einerseits die Feinde, die euch überall im Spiel begegnen. Andererseits sind sie aber auch Bestandteil eurer Party. Denn zwar kämpft der Protagonist selbst mit, die restlichen drei Slots werden aber durch Dämonen gefüllt. Wie ihr an diese herankommt? Indem ihr sie im Kampf ansprecht und bestecht überredet, zu eurer Seite zu wechseln. Manchmal reicht schon die richtige Antwort auf eine Frage aus, um den Dämon zu rekrutieren. In anderen Fällen müsst ihr Macca, die Währung im Spiel, oder Items rüberwachsen lassen. Aber Vorsicht ist geboten: manche dreisten Dämonen leiern euch allerlei aus den Rippen, nur um dann einfach abzuhauen. Und wenn ihr was Falsches sagt, dann kann so ein Wesen auch schnell mal verärgert sein und euch direkt den Krieg erklären.

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Es ist dabei essentiell, viele Dämonen zu rekrutieren, da diese nicht nur im Kampf nützlich sind. Trainiert ihr einen Dämon genug, stellt der sich nämlich gerne als Lehrmeister zur Verfügung und bringt euch seine Fähigkeiten bei. Das ist wichtig, da ihr anderweitig keine neuen Attacken lernen könnt. Und wenn ihr mal genug von einem Dämon habt, lässt er sich sinnvoll weiterverwenden: denn die Dämonenfusion, ebenfalls ein typisches SMT-Element, ermöglicht es euch, zwei oder mehr eurer Rekruten zu komplett neuen Dämonen zu kombinieren. Hier kommt schnell ein richtiges "Schnapp sie dir alle!"-Fieber auf, da es einfach so eine große Anzahl an Fusionsmöglichkeiten gibt, dass man gerne auch mal eine Stunde im Menü verbringt, um alles durchzuprobieren und zu schauen, ob man den ein oder anderen besonders mächtigen Dämon herbeizaubern kann.

Andererseits fällt SMT IV aber auch in die Falle, die fast jedes Spiel mit solchen Elementen geschnappt hat: Es entsteht keine emotionale Bindung. Jeder Dämon, der für euch kämpft, wirkt wie eine Ressource, die ihr ein paar Level lang mit euch herumschleppt und dann per Fusion für was Besseres eintauscht, ehe der Kreislauf von vorne beginnt. Selten lohnt es sich einen Dämon über längere Zeit zu behalten, dafür sorgt alleine schon die Tatsache, dass der Erfahrungspunkte-Hunger ziemlich schnell ansteigt und die Dämonen sowieso nur eine begrenzte Anzahl von neuen Fertigkeiten lernen. Mit vielen subtilen Kniffen forciert euch SMT IV so, eure Party stetig zu wechseln. Das ist natürlich ein total krasser Gegensatz zu Pokémon, wo auch nach vielen Spielstunden das Glurak, das am Ende mit mir triumphierend in die Ruhmeshalle aufgenommen wird, eben doch noch immer das Glumanda ist, mit dem ich meine Reise begonnen habe.

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Neben dem Dämonensystem kann SMT IV auch bei den Kämpfen überzeugen. Es geht in typischer JRPG-Manier rundenbasiert zu, auch wenn es einen sehr wichtigen Kniff gibt: Jede Figur im Spiel hat Stärken und Schwächen gegen bestimmte Elemente oder Attacktypen. Trifft ein Angriff diese Schwäche oder landet ihr einen kritischen Schlag, dann gewinnt ihr eine zusätzliche Aktion für euren Zug hinzu und könnt so durchaus auch mit eurer kompletten Party mehrmals in nur einer Runde angreifen. Umgekehrt gilt aber auch, dass, wenn ihr mit einem Angriff auf die Resistenz eines Feindes einprügelt oder ihn komplett verfehlt, ihr auch Aktionen verlieren könnt und entsprechend schnell in die Bredouille gelangen könnt. Dem Kampfsystem wird eine zusätzliche Würze dadurch verliehen, dass diese Regeln auch für eure Gegner gelten, die also auch eure Schwächen ausnutzen können, um sich Zusatzaktionen zu verdienen.

Diese Tatsache macht die Kämpfe sehr taktisch, bietet euch aber auch entsprechend viele Möglichkeiten. Wer sich richtig vorbereitet und gegnerische Schwächen ausnutzt, kann beispielsweise auch problemlos in Gebieten wildern, die sonst von Feinden bewohnt werden, die einen weit höheren Level besitzen. Gleichzeitig gilt auch, dass eine einseitige Partyzusammenstellung euch schnell zum Verhängnis werden kann, beispielsweise wenn eure gesamte Party anfällig für ein bestimmtes Element ist und euch dann Feinde begegnen, die primär Attacken mit diesem Element nutzen.

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Doch so begeisternd gut die Grundpfeiler Kampfsystem und Dämonen auch sind, leider hat das Spiel auch eine große Schwäche beim Erkundungsaspekt. Denn so sehr sich die gelungene aber nicht herausragende Story darum bemüht, euch ein ansprechendes Setting zu präsentieren, sorgt leider das verwirrende Design der Oberwelt dafür, dass man diese Aspekte nur selten wirklich genießen kann. Stattdessen ist man damit beschäftigt, Dutzende von Ortschaften immer wieder und wieder zu besuchen, weil man nach einem Quest-Startpunkt sucht oder die Hinweise darauf, wo es weitergehen soll, einfach nicht genau genug sind. Eine Karte, die euch etwa Namen von Orten anzeigt, fehlt vollkommen und macht es schwierig, gezielt irgendwo hinzugehen, außer ihr habt ein fotografisches Gedächtnis und könnt euch die unzähligen Gebiete alle merken. So wird ein Spielteil, der in anderen Genrevertretern viel Spaß macht, schnell zur Tortur. Das ist die einzige nennenswerte Schwäche des Spieles, aber leider werdet ihr immer und immer wieder damit konfrontiert werden. Im Endeffekt ist auch das der Grund, wieso SMT IV das S verwehrt bleibt. Wenigstens gibt es keine Zufallskämpfe.

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Ich kann mich nur wiederholen: die Wartezeit hat sich gelohnt. Wir mussten in Europa zwar anderthalb Jahre warten, aber für Shin Megami Tensei IV nimmt man dieses Opfer gerne in Kauf. Es ist ohne Frage eines der besten RPGs auf Nintendos Handheld und, gerade zum Budgetpreis, für den es hierzulande erschienen ist, lohnt sich das zugreifen gleich noch mal, weil auch die Spielzeit mehr als zu überzeugen weiß. Mein erstes Durchgang hat knapp 80 Stunden gedauert und ich war dabei nicht einmal besonders gründlich, wenn es um Dämonen und Nebenmissionen ging. Ein besseres Preis-/Leistungsverhältnis bietet euch kein anderes Spiel auf dem 3DS. Haris

Shin Megami Tensei IV wurde auf einem Nintendo 3DS gestestet. Der Autor hat sich das Spiel für diesen Test selbst gekauft.

Shin Megami Tensei IV

(Ranking)
A
RANK
Reife Leistung. A-Spiele machen alles richtig oder sind nah dran. Kleine Schwächen werden durch Stärken mehr als wett gemacht. Das ist Spieldesign auf hohem Niveau.

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RELEASE
30. Oktober 2014
PLATTFORM
Nintendo 3DS
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