Das Ende des modernen Militärshooters

(Artikel)
Haris Odobašic, 05. November 2014

Das Ende des modernen Militärshooters

Und wieso Moslems Grund haben enttäuscht zu sein

Das Zeitalter der modernen Militärshooter ist vorbei. Titanfall - mit seinem planetarischen Bürgerkrieg - markierte den Anfang, doch der positive Zuspruch, der dem neuesten Call of Duty entgegenspringt, dürfte das endgültige Ende des typischen Fußsoldaten im Hier und Heute markiert haben. Dieses Jahr ist kein nennenswerter Shooter erschienen, welcher dieses Setting beansprucht, und auch für das nächste Jahr ist kein solches Spiel angekündigt. Selbst das neue Battlefield hat sich zwar nicht von der Gegenwart als Zeit, aber immerhin vom Militär als Thema entfernt und fokussiert stattdessen auf die Polizei.

Wenn ich nun auf die knapp sieben Jahre, die diese Art des Shooters dominierte, zurückblicke, sehe ich vor allem bei der Call-of-Duty-Reihe viele Gründe für Lob. Ob nun die Atombombe im ersten Modern Warfare oder die Flughafen-Szene in Modern Warfare 2: Das waren Momente, die vorangetrieben haben und die zeigen konnten, dass Videospiele ernste Themen ansprechen können. Und die Kontroversen, die diese Szenen und die folgenden Diskussionen auslösten, haben es uns erlaubt, ein bisschen mehr des Potenzials der Videospiele als Erzählmedium zu sehen. Manche Leute taten diese Szenen als Aufmerksamkeitsgefische ab, aber es gehört ein großer Mut dazu, so was in ein Spiel einzubauen und im Endeffekt wurde dieser Mut belohnt.

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Einer der besten Momente der letzten Konsolengeneration. (Call of Duty 4: Modern Warfare)

Wendet man sich aber der Kehrseite der Medaille zu, gibt es auch viele Spiele, deren Kampagnen schlichtweg uninspiriert waren und die Klischees und Hurra-Patriotismus unreflektiert darstellten - die scheinbar gar kein Interesse hatten, Krieg anders zu thematisieren als in Form eines Hintergrundes für das eigentliche Spielgeschehen. Und ich frage mich, ob Entwickler während der Dekade des modernen Militärshooters nicht vielleicht eine Chance verpasst haben, in all dem überschwänglichen Amerikapathos auch mal interessante Geschichten mit ungewöhnlichen Blickpunkten zu erzählen. Zum Beispiel die Geschichte des amerikanischen Moslems, der im Nahen Osten für sein Land kämpft.

Zu diesem Zeitpunkt ist es nur gerecht euch Lesern gegenüber zu erörtern, wieso ich den Wunsch habe, durch die Augen eines muslimischen Soldaten zu schauen: Ich bin selbst Moslem. Geboren in Bosnien und Herzegowina, bin ich mit dem Islam aufgewachsen - wenn auch einem sehr liberalen Islam. Eine typische bosnische Großstadt ist nicht von irgendeiner anderen europäischen Großstadt zu unterscheiden, wenn es um Aspekte wie die Kulturenvielfalt geht. Ich bin zwar nicht religiös, kann aber nicht abstreiten, dass der Islam Teil meiner kulturellen Identität und Herkunft ist. Und ich schäme mich nicht dafür, darauf stolz zu sein.
Wenn ich also den Wunsch nach einer Repräsentation als Moslem hege, dann ist das in gewisser Weise auch der Wunsch danach, eine Seite von mir in einem Spiel wieder zu finden, die ich so bisher nicht gesehen habe.

Natürlich geht es mir dabei nicht darum, unbedingt in die Fußstapfen eines virtuellen Soldaten zu treten. Auch andere Geschichten sind möglich und ich will keinen muslimischen Charakter in einem Spiel haben, nur damit irgendeine ethnische Quote erfüllt ist. Ich würde mich auch niemals vor einen Künstler stellen und ihm diktieren, wie er seine Kunst zu gestalten hat, nur um meine egoistischen Wünsche zu befriedigen. Wenn ein Spiel nicht unbedingt Platz hat für einen muslimischen Charakter, dann ist das okay.

Aber der muslimische Soldat wäre am leichtesten umgesetzt gewesen. Dass das Thema sehr viel narratives Potenzial bietet, zeigt sich in anderen Medien. Ganze Fernsehserien, hier wäre zum Beispiel Homeland zu nennen, bauen auf der Prämisse eines muslimischen Soldaten und der dahinterstehenden Konflikte auf. Auch andere Fernsehserien, 24 oder Generation Kill, haben Variationen dieses Charaktertypus aufgegriffen und erfolgreich umgesetzt. Eigentlich wäre es vollkommen logisch gewesen, so einen Charakter in ein Spiel einzubauen. Die echte Überraschung findet sich deswegen eher darin, dass es nicht passiert ist. Dass bei all den Call of Duties, Medal of Honors, Battlefields und den unzähligen Einzeltiteln keiner auf die Idee kam, diesen Blickwinkel einzubeziehen. Und wenn schon die leichte Umsetzung mit Vorbildern in anderen Medien scheitert, warum sollte ich dann auf noch nischigere Geschichten setzen?

In der Serie Homeland geht es um Sergeant Brody, der in Kriegsgefangenschaft zum Islam konvertiert.

In diesem Moment schaue ich zurück auf unsere Gesellschaft und frage mich, ob der Grund, wieso wir solch eine Geschichte nicht gekriegt haben, nicht genau dort zu finden ist. Denn Islam ist noch immer ein kontroverses Thema, bei dem es schwer ist, abzuschätzen, wie weit man sich aus dem Fenster lehnen kann ohne eine negative Reaktion einzufahren. Und durch das Medium Videospiele - fester Teil im Mainstream unserer Gesellschaft, aber als bedeutungsvoller Träger für artistische Entfaltung noch immer belächelt - wird das Problem nur weiter verstärkt.
Denn, um ehrlich zu sein, habe ich als Moslem das Gefühl, dass in der westlichen Welt tiefgründige Diskussionen zum Islam gar nicht wirklich erwünscht sind. Es ist eine unheimlich polarisierte Debatte, bei der ich oft den Eindruck habe, dass es irgendwie immer nur um rechte Agitatoren oder um Hassprediger zu gehen scheint. Und wenn man dann doch mal in der Lage ist, über den Islam zu reden - auch in einem kritischen Ton -, passiert es allzu oft, dass irgendjemand um die Ecke kommt, der glaubt, uns Moslems einen Gefallen zu tun, wenn er die dicke Rassismus-Keule schwingt. Denn diese Menschen realisieren gar nicht, dass sie, während sie sich in den Vordergrund drängen, einem Moslem die Stimme rauben, um auf Kritik reagieren zu können und ihr vielleicht sogar zustimmen wollen. All diese Faktoren tragen dazu bei, dass, obwohl der Islam Teil der westlichen Gesellschaft ist, er irgendwie noch immer nicht angekommen ist, wie als wenn eine unsichtbare Wand ihn vom Rest abtrennen würde. Der Islam ist überall und doch ist er Tabuthema. Vielleicht gerade wegen dieser Kombination kann die Islamophobie so sehr um sich greifen. Ohne einen kritischen, öffentlichen Diskurs zum Islam, frei von Hass und Polemik, aber auch frei von Denkverboten, wird der Islam nicht akzeptiert werden.

Dann höre ich auf mich zu fragen, wieso mir solch ein Charakter verwehrt bleibt und wieso ich nicht so eine Geschichte erleben darf. Wieso ich nicht die kognitive Dissonanz, mit der viele Moslems konfrontiert werden, wenn wir in der westlichen Welt leben und aufwachsen, in einem Spiel thematisiert sehe. Denn wir leben eine Realität, werden aber durch die Medien regelmäßig mit einer anderen konfrontiert. Sind die Moslems im Nahen Osten alles meine Brüder und Schwestern, nur weil wir die Kultur oder den Glauben teilen, obwohl unsere gelebte Realität und viele unserer Werte sich ansonsten unterscheiden wie Tag und Nacht? Es wäre schön einen Kommentar dazu in einem Videospiel wieder zu finden, doch unsere Gesellschaft und leider auch das Medium Videospiele scheint einfach noch nicht bereit dazu.

Also bleibe ich der enttäuschte Moslem, der sich so sehr wünscht, dass er sich auch mal in den Spielen, die er so gerne spielt, wiedersähe. Die bislang beste Chance, so ein Thema anzusprechen, wurde nämlich mit dem Ende des Militärshooters vergeben und solange sich in unserer Gesellschaft beim Thema Islam nichts ändert, sehe ich nicht, wo die Motivation für einen Entwickler wäre, solch einen Sichtpunkt einzubauen - selbst bei einem Thema, dass sich ansonsten dafür anböte. Bleibt nur zu hoffen - für Moslems und Leute, die an solch einem Sichtpunkt interessiert wären -, dass sich irgendwann genug muslimische Videospielentwickler finden, die das Heft bei diesem Thema selbst in die Hand nehmen können. Haris

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