Watch Dogs

(Artikel)
Benjamin Strobel, 09. Juni 2014

Watch Dogs

Frisches Setting, alter Hut

Ein Name, der für uns alle eine lange Zeit Next Gen verkörpert hat: Watch Dogs. Das Spiel, das schon Next Gen war, noch bevor diese Generation überhaupt begonnen hatte. Der Hoffnungsträger für ein cooles Szenario und kreatives Gameplay - mehr als der Standard für Open-World-Spiele, mehr als Fahren und Schießen. Zwei Jahre später können wir die Realitätsprüfung machen: Was kann Watch Dogs wirklich?

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Die Welt von Watch Dogs ist ein Chicago in der nahen Zukunft. Die ganze Stadt wird von einem Computerprogramm, dem so genannten ctOS, gesteuert und überwacht. Hauptcharakter Aiden Pearce, virtuoser Hacker, hat sich Zugang zu dieser Software verschafft und bekommt dadurch Kontrolle über viele Systeme der Stadt, darunter Überwachungskameras, Ampeln und Brücken und die Mobiltelefone von Chicagos Bewohnern.
Mit dem Druck einer einzigen Taste eröffnet sich dem Spieler eine digitale Welt, deren Datenfluss zu jedem Zeitpunkt neue Informationen anspült. Erkennt das System ein Gesicht, werden Name, Alter und private Daten sofort mit abgerufen. Jason sammelt Baseballkarten, Tina ist süchtig nach Sex. Irgendjemand hat Krebs im Endstadium, eine Frau ist arbeitslos. Manchmal kann man ein Gespräch mit anhören oder Textnachrichten verfolgen. Michael prahlt mit dem Körper seiner Freundin vor einem Kollegen, Christina geht fremd. Watch Dogs Chicago ist voller echter Menschen, das Spiel wirkt riesengroß und voller Möglichkeiten. Man selbst ist der anonyme Hacker, ein gesichtsloser Schatten, der sich die absurde Entwicklung unserer Überwachungstechnologien zunutze macht. Das Setting von Watch Dogs kitzelt damit Inhalte, die brandaktuell sind. Datensammeln durch Facebook, Google und Freunde, internationale Ausspähung von Staaten und Privatpersonen durch Geheimdienste. Dieses Chicago verkörpert all die Ängste und Möglichkeiten, die unserer Gesellschaft in den letzten Jahren offenbart worden sind.

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Überwachung und Datenschutz bieten viel Stoff für Kritik und Diskussionen. Ist Überwachung okay, wenn man Menschen damit retten kann? Darf man potentielle Verbrecher ausspähen, um zukünftige Straftaten zu verhindern? Wer darf diese Daten nutzen und wie? Welche Daten dürfen überhaupt verwendet werden? Watch Dogs stößt diese Fragen nur selten und schwächlich an. Stattdessen wird die Ausspähung zum Spielzeug des Spielers, das nicht weiter hinterfragt wird. Aiden Pearce tut schließlich mehr oder weniger Gutes. Um einen Kleinganoven zu fangen, schalte ich die Ampeln einer Kreuzung auf grün. Der Flüchtige crasht in die gleichzeitig anfahrenden Autos, es entsteht ein Chaos. Ein Auto brennt und explodiert, zwei Zivilisten sterben. Zum Ausgleich rette ich einen Verletzten aus seinem Auto und schlage den Ganoven nieder. Dann gehe ich weg, als wäre nichts geschehen. Die Karma-Leiste füllt sich mit Pluspunkten, weil ich einen Verbrecher gefangen habe.

Trotz eines spannenden Szenarios versäumt Watch Dogs es, seine Inhalte mit interessanten Diskussionen zu füllen und die richtigen Fragen aufzuwerfen. Protagonist Aiden Pearce ist damit beschäftigt, persönliche Probleme aufzuklären und den Tod seiner Nichte zu rächen, die ums Leben kam, weil jemand hinter ihm her war. Nun wird seine Schwester entführt. Um die Verantwortlichen zu finden, nutzt Aiden die Kontrolle über die virtuelle Welt Chicagos. So wird das Hacken zu einem normalen Werkzeug im Arsenal des Actionprotagonisten. Man kundschaftet Umgebungen mit Kameras aus, man öffnet Tore mit dem Handy und bringt Stromkästen zur Explosion. Und wenn man richtig guter Laune ist, unterbricht man den Strom und rennt im Dunkeln davon. Die Möglichkeiten des Hackens verkommen damit zu einem Gimmick, das eben nicht den Kern des Spiels ausmacht, sondern sich hauchdünn darüber legt. Das eigentliche Gameplay speist sich aus dem Genre-Standard: Fahren und Schießen.

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Viele Missionen verlaufen ähnlich. Aiden muss eine Basis oder ein Versteck infiltrieren, um sich Zugang zu neuen Daten zu verschaffen. Dabei kann er die Umgebung mit Überwachungskameras erkunden, bevor er selbst Fuß auf das Gelände setzt. Hackt man eine Kamera, so gibt es einen eleganten Schwenk, man fährt in das Gerät hinein und übernimmt schließlich dessen Perspektive. Nach Watch Dogs Logik muss man ein Objekt erst im Blickfeld zu haben, um sich einzuhacken. So basieren viele Rätsel des Spiels darauf, von Kamera zu Kamera zu hüpfen, um schließlich freien Blick auf das Terminal zu bekommen, das man in seine Gewalt bringen muss. Das ergibt eigentlich überhaupt keinen Sinn, etabliert spielerisch aber eine interessante Hürde, mit der man arbeiten muss, um weiterzukommen.

Wenn man die Positionen der Feinde kennt, kann man von Deckung zu Deckung schlüpfen, Gegner weglocken oder überwältigen. Anschließend bekommt man es häufig mit Verstärkungen zu tun, die das Feuer eröffnen. Auch nach einer erfolgreichen Stealthmission erzwingt das Spiel häufig Feuergefechte. Hier muss man sich entscheiden, ob man alle Gegner wegputzt oder unterm Kugelhagel aus dem Gebiet entkommt. Manche Feinde fliehen und müssen verfolgt werden, andere - beispielsweise die Polizei - verfolgen wiederum Aiden. Ähnlich wie bei GTA muss man den Cops entwischen, bis sie ihre Suche aufgeben. Das ist häufig gar nicht so einfach, insbesondere wenn Helikopter in der Luft sind. Die Polizei ist also eine Bedrohung, mit der man nichts zu tun haben möchte. Daher ist es auch gut gelungen, dass man Zivilisten davon abhalten kann, die Bullen zu rufen. Entdeckt man unbescholtene Mitbürger mit dem Handy an der Backe, kann man sie niederschlagen oder sie mit gezogener Waffe dazu überreden, ihr Mobilgerät fallen zu lassen. Erschießen sollte man niemanden, denn dann greift meist schon der nächste zum Hörer. Die Mechanik ist gut eingesetzt und gibt dem Spieler die Möglichkeit, mühsamen Verfolgungsjagden im Vorfeld zu entgehen.

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Neben Story-Missionen findet man in Chicago unzählige Möglichkeiten, Zeit zu verdödeln. Man kann verschiedene Minigames spielen, beim Glücksspiel sein Geld verzocken, beim Geocaching Objekte einsacken und verstecken und sich online mit anderen Spielen messen. Die Online-Modi von Watch Dogs sind ein Höhepunkt des Spiels, der mich viele Stunden lang davon abgehalten hat, die Geschichte weiter zu verfolgen. So kann man in die Spiele von anderen eindringen und die Spieler hacken, während sie versuchen müssen, den Eindringling zu finden und auszuschalten. Bei diesem Katz- und Mausspiel ist der Eindringling in Camouflage eines gewöhnlichen NPCs gehüllt und lässt sich nur durch auffälliges Verhalten identifizieren - oder indem er gescannt und als Hacker erkannt wird. Derjenige, der es mit einem unerwünschten Besucher zu tun bekommt, kann den ungefähren Bereich sehen, in dem sich der Hacker aufhält. Während der Eindringling sich bedeckt hält und wartet, dass die Daten downloaden, durchkämmt der Verteidiger frenetisch das Areal. Einmal habe ich mich in einer Lagerhalle versteckt und meinen Rücken mit einer Sicherheitskamera ausgekundschaftet. Als der arme Kerl schließlich die Halle durchsuchen wollte, wusste ich längst, dass er kommt, und bin geschickt um ihn herum geschlichen, bis die Zeit abgelaufen war. Ein anderes Mal habe ich mich in der Bahnhaltestelle über der Straße versteckt. Als mein Opfer auf die Idee kam, oben mal nachzusehen, habe ich die Bahn gehackt, sodass sie zwischen uns stehen blieb und seine Sicht blockierte. Aber das Beste kommt noch: Um ihn zu täuschen, ließ ich die Bahn kurz anfahren. Er dachte natürlich, ich sitze drin und stürmte hinein. Als er mich dann draußen stehen sah, rannte er auf die Gleise und wurde von der nächsten Bahn überrollt. Episch!

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Optisch konnte Watch Dogs mich nicht aus den Socken hauen. Die Stadt ist detailliert und Lichteffekte sorgen dafür, dass man für den Sonnenaufgang auch mal stehen bleibt. Der Autolack glänzt und Explosionen machen ordentlich etwas her. Doch spätestens wenn man in Cutscenes die Figuren genauer betrachtet, blickt man in leere Augen und steife Gesichter.

Punkte gibt es für das stimmige Artdesign, das die Hacker-Atmosphäre visuell sehr gut einfängt. Aidens Mantel flattert im Wind, während er im strömenden Regen durch die Gassen Chicagos schlendert, in seiner Hand leuchtet das Display seines Smartphones. Man würde jetzt erwarten, dass auch ein interessantes Spielprinzip dahinter steht. Schnell wird aber klar, dass "hacken" nur ein anderes Wort für "benutzen" ist und nur ein weiteres Werkzeug stellt, das der Spieler aus dem Kasten holt, wenn er sich ein Feuergefecht liefert oder sich im Auto auf der Flucht befindet. Watch Dogs ist wieder nur Fahren und Schießen und verfehlt damit sein Ziel, eine neue Generation einzuläuten. Stattdessen bedient es alte Muster und hebt sich von anderen Genre-Vertretern nur in Nuancen ab. Watch Dogs ist ein solides Action-Adventure mit einer interessanten Idee, die nicht ganz ausgeschöpft wird. Es ist aber nicht das Spiel, auf das wir lange gewartet haben. Ben

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B
RANK
Anständig. Stärken und Schwächen halten sich die Waage. Positive Überraschungen sind genauso selten wie negative. Unterm Strich muss man seine Spielzeit keinesfalls bereuen.

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28. März 2024 um 20:33 Uhr
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27. Mai 2014
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