Pokemon X/Y

(Artikel)
Haris Odobašic, 23. Oktober 2013

Pokemon X/Y

Kinderspiel, na und?

14 Jahre ist es her, dass Pokémon zum ersten Mal spielte. Und wie ich das tat: ich glaube im Endeffekt hatte ich es über ein halbes Dutzend Mal durchgespielt, einfach so. Mein damaliger Game Boy Color hatte echt eine Menge durchzumachen. Und auch, wenn Pokémon nicht der Grund dafür ist, dass ich nun ein riesiger RPG-Fan bin -- diese Liebe hatte die Final-Fantasy-Reihe einige Zeit früher in mir entfacht -- zählt es ohne Frage zu den prägendsten Spielen meiner Kindheit. Dennoch steckte ich in keinen der darauffolgenden Teile so viel Zeit, wie in diesen. Ich spielte sie zwar fast alle, aber meist nur fünf bis zehn Stunden, ehe mein Interesse von anderen Spielen abgelenkt wurde und die jeweiligen Teile in Vergessenheit gerieten. Doch dieses Mal sollte alles anders sein, ich wollte endlich den Start einer neuen Pokémon-Generation so erleben, wie es sich gehört: Mich von der Hype-Welle tragen lassen und dann Pokémon X/Y nach Release so oft und intensiv wie möglich spielen, eben wie ich es auch damals machte.

Mein erstes Fazit bestand aus purer Ernüchterung, vielleicht sogar ein bisschen Enttäuschung. Ich hatte vielleicht zu viel erwartet, aber ich glaube, im Endeffekt war ich vor allem einfach nur geschockt, wie wenig sich eigentlich geändert hat. Gerade als jemand, der Sportspiele ausgiebig spielt, hätte ich nicht damit gerechnet, dass es eine Spielereihe geben könnte, die in 15 Jahre gefühlt weniger Neuerungen packt, als eine jährliche PES-Iteration. Natürlich, das Drumherum ist neu -- und macht gerade für das Auge meiner Meinung nach echt viel her. Ein paar neue Kreaturen hat man sich auch ausgedacht, aber das ist alles mehr oder weniger das Äquivalent zum Lizenzupdate im Sportbereich. Doch vom Spielgefühl schien sich echt gar nichts geändert zu haben.
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Und selbst die Struktur wurde beibehalten, inklusive einiger der nervigsten Aspekte. Ich erinnere mich, dass es mich schon als Kind gelegentlich mal störte, wenn Pokémon mir mit dem erhobenen Zeigefinger ins Auge piekste, weil ich mal wieder eine Route zu früh betreten oder irgendein anderes Gebiet im Spiel erforschen wollte, bevor der vorgesehene Zeitpunkt anstand. Selbstverständlich passiert das auch in anderen Spielen, aber in keinem Titel wirkt es für mich so erzwungen wie Pokémon -- und dass es vollkommen vorhersehbar ist, macht es nur noch schlimmer. Man sieht diesen Baum oder Stein und weiß sofort, dass man hier erst weiterkommt, wenn man die nötige VM gefunden hat. Und diese VMs haben im Umkehrschluss quasi nur die Funktion, als eine Art Schlüssel für diese Stellen im Spiel zu dienen.

Es ist nicht so wie beispielsweise in Metroidvania-Spielen, die auch das gleiche Prinzip nutzen, um Levelzugänge zu blockieren. Denn dort bedeutet eine neue Fähigkeit auch gleichzeitig einen Anstieg des Adrenalingehaltes beim Spieler, weil man nicht nur ein neues Gebiet erforscht, sondern auch coole, neue Fähigkeiten kriegt. Bei Pokémon hingegen heißt es: du verschiebst den Stein und dann geht das Spiel haargenau so weiter wie bisher. Die VMs taugen ja nicht mal als Attacken im Spiel, was auch das VM-Sklaven-Phänomen erklärt.
Diese Aspekte machen das Gameplay nicht tiefgründiger, besser oder spaßiger, sondern sind einfach nur Stolpersteine, die einem jedes Mal aufs Neue in den Weg gelegt werden, dass man sich wundert, was für ein Sadist dahinter stecken muss.

Außerdem fehlen mir bei Pokémon quasi die Elemente, die ein richtig gutes RPG ausmachen: eine interessante Welt, eine spannende Story und starke Charaktere. Die Geschichte ist nämlich einfach nur ein Alibi, damit ihr nicht vollkommen ohne Anleitung durch die Welt zieht, und die Figuren, die in ihr vorkommen, entsprechend farblos. So wirkt auch das Spieluniversum, welches einfach keine Begeisterung auslösen kann: das Kind in mir würde sich eine Welt mit Pokémon wünschen, aber in der Pokémon-Welt leben will ich nicht wirklich, denn diese ist quasi eine noch langweiligere Version der echten.

Zudem ist Pokémon nicht mal sonderlich gut geschrieben. Wenn ich das mit einem Trails in the Sky vergleiche, wo sich jeder dämliche und sinnfreie Nutzlos-NPC dank der genialen Lokalisierung das Recht verdient hat, angesprochen zu werden, dann weiß ich, dass das Gespräch mit jeder Figur bei Pokémon eigentlich pure Zeitverschwendung ist. In diesem Kontext erklärt das dann auch, wieso einem gefühlt jeder dritte Charakter ein Geschenk in die Hand drückt: es ist eine Entschädigung dafür, dass man sich diese schäbigen Dialoge durchgelesen hat.

Ihr müsst nun an diesem Punkt denken, dass ich Pokemon X/Y abgrundtief hasse. Aber wisst ihr was? Am Ende spielen all diese Gedanken keine Rolle! Die Story ist schwach, es gibt keinen einzigen interessanten Charakter im Spiel und das meiste hat man schon ein Dutzend Mal in den anderen Teilen vorgekaut bekommen, doch der Freude, die man mit dem Spiel haben kann, tut das fast keinen Abbruch; denn Pokémon fangen, leveln, tauschen und alles, was dazu gehört, macht eben einfach noch immer so viel Spaß wie am ersten Tag und kein Spiel kann dieses Feeling auch nur annähernd rüberbringen. Spätestens nach 20 Spielstunden wurde ich des Bemängelns müde und akzeptierte einfach die Fehler, damit ich mich darauf konzentrieren kann, in dem doch üppigen Spielspaßsee zu baden. Auch wenn Pokémon nie ganz oben bei meinen Lieblings-RPGs landen wird -- obwohl ich mit der Spielereihe aufgewachsen bin --, weil ich starke Charaktere und epische Storys bevorzuge, kann ich mich am Ende des Tages dem Charme der Spiele nicht entziehen.

Denn nur weil Pokémon Kinder als Hauptzielgruppe hat, hält das das Spiel nicht davon ab, ziemlich viel Tiefe und Abwechslung zu bieten. Oberflächlich betrachtet könnte man zu dem Trugschluss kommen, dass es in Pokémon darum geht, das Spielende zu erreichen. Doch das wahre Ziel ist ein anderes: das, was der Spieler daraus macht. Egal, ob man der am Kampferfolg gemessen beste Pokémontrainer werden will, ein Sammler ist und sich alle der mehr als 700 Monster schnappen will oder einfach nur etwas seichtere Ablenkung von sonst so bedeutungsschwangeren Rollenspielen sucht -- Pokémon ist so vielseitig, dass jeder Geschmack abgedeckt wird und wirklich jeder damit eine Menge Spaß haben kann.
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Und natürlich sind die Pseudo-MMO-Aspekte einfach nur genial. Ist man in der Nähe eines anderen Pokémon-Spielers, taucht er auch im Spiel auf, damit man mit ihm interagieren kann, beispielsweise um zu tauschen oder sich gegenseitig mit den O-Kräften etwas aufzupowern. Und geht man richtig online, ist es nur noch besser, dann kriegt man nämlich reihenweise neue Spieler vorgestellt, mit denen man interagieren kann. Oder man nutzt eines der vielen anderen Features, wie zum Beispiel den Wundertausch, bei man ein Pokémon abgibt und ein zufälliges im Gegenzug erhält. Die gesamte Online-Infrastruktur ist einfach verdammt ausgeklügelt und zählt zu dem Besten, was es gibt. Und das ausgerechnet von Nintendo, den ewigen Online-Hinterherhinkern!

Pokemon X/Y ist die ultimative Power Fantasy für Heranwachsende, die gerade dem Hosenscheißeralter entkommen sind. Ihr streift umher in einer Welt, in der euch jeder trotz eures Alters respektiert, seid der Held in einem coolen Abenteuer und schließt Freundschaft mit hunderten von Monstern, die euch mit fortlaufender Spielzeit so richtig ans Herz wachsen. Wer sich nicht davon abschrecken lässt, dass Pokémon eben diese eine Zielgruppe hat und an keinem Punkt versucht, auch ältere Spieler anzusprechen, wird mit dem wohl bisher besten Pokémon-Spiel belohnt. Game Freak kommt der Poké-Perfektion quasi so nah und auf der Nostalgie-Welle reitend kann auch mal ein halber Tag plötzlich im Nichts verschwinden, weil man mal wieder nur schauen wollte, was so für Pokemon im nächsten Gras lauern. Doch während ich meinen Spaß habe und eine eigentlich wunderbare Erfahrung genieße, kann das die zweifelnde Stimme nicht ganz zum Verstummen bringen, die sich wünscht, dass Pokémon nicht nur ein Spiel wäre, welches den zehnjährigen Haris restlos begeistert, sondern auch einem erwachsenen Spieler etwas mehr bieten kann. Haris

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RELEASE
12. Oktober 2013
PLATTFORM
Nintendo 3DS
Plattform

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