The Whispered World

(Artikel)
Kristin Riedelsberger, 20. September 2013

The Whispered World

Meine dunkelsten Adventure-Stunden.

Memoria war gespielt, Goodbye Deponia ist noch nicht draußen und von frisch publizierten Wimmelbild-Adventures blieb ich diesen Monat netterweise verschont, nur musste ich ja jetzt mit irgendetwas mein klaffendes Rezensionsloch stopfen. Nach langem Haargesträube und einigen vergossenen Tränen überwand ich mich schließlich zum Unmöglichen: Ich spielte - endlich! - The Whispered World durch.

Als es direkt nach meinem heißgeliebten Edna bricht aus als zweites Daedalic-Spiel das Licht der Welt erblickte, da war ich noch voller Euphorie, sprang sofort in den nächsten Laden und verabredete mich noch unterwegs mit Rian, um die Freude der ersten Spielminuten mit jemandem zu teilen... Ich hätte schon nach meinem ersten genussvollen Unpacking wissen müssen, dass ich mir mit diesem Spiel um den kleinen, jammerlappigen Clown Sadwick nicht nur eine fette Adventure-Depression, sondern auch die CD-gewordene Garstigkeit ins Haus geholt habe: Neben Poster, Handbuch und CD kullerten mir auch drei bunte Würfel mit seltsamen Runen entgegen, und nach der Installation des Spiels begrüßte mich dann folgender Bildschirm:

tww 2013-09-17 12-54-24-20

Ganz einfach, denk ich mir. Ich ordne also die Würfel und klicke die entsprechende Rune an. Falsch. Ich versuche es noch mal. Falsch. Noch mal. Wieder falsch. Ich bin bereits am Rande der Verzweiflung, da klappt es plötzlich. Warum? Stelle fest, ich habe einfach nicht genau geguckt. Das eine F hat noch einen Fitzel oben, das andere nicht... Denke mir: Na gut, nützt ja nichts, sich darüber aufzuregen, und außerdem kann ich die Würfel ja jetzt wieder getrost in die Hülle stopfen. Noch mal werde ich das ja bestimmt nicht eingeben müssen.

Falsch. Nach jedem verdammten Neustart muss man diese Kackwürfel wieder aus der Verpackung pullen. Hrrr! Das war meiner Laune nicht sonderlich zuträglich, besonders da ich Whispered World aus lauter Wut über die absurd schweren, Schlag auf Schlag aufeinanderfolgenden und teilweise unlogischen und widerwärtigen Rätsel mit einem beherzten Hieb auf die Escape-Taste unzählige Male getötet habe. Zwanzig Minuten später hatte ich mich dann eigentlich beruhigt, aber jedes Mal, wenn wieder diese Würfel-Runen-Bildschirm vor meiner Nase aufflackerte, kehrte dieses Gefühl zurück - dieses Gefühl, jemand zerquetsche mir mit beiden Händen mein kleines, unschuldiges Abenteuerherz: GRAAAAAH!!!

schönDass The Whispered World wunderschön ist, steht außer Frage - ebenso schön übrigens wie der verträumte Soundtrack.

Moment, ich muss kurz durchatmen... Sooo. Aaalso. Rätsel. Die reichen von "Platziere acht Damen so auf einem Schachbrett, dass sie sich nicht schlagen können" über Labyrinthrätsel, Zahnrad-Quälereien, Musik-, Logik-, Schalter- und Schieberätsel, kurz: es wurde aus den Vollen geschöpft und eigentlich alles in das Spiel geprügelt, was die Menschheit je gesehen hat. Es lebe die Welt der Minispiele!

Wer auf so etwas überhaupt nicht oder nur gelegentlich steht (so wie ich), der wird die richtigen Lösungen wohl oder übel aus den Screenshots irgendwelcher Komplettlöser mühsam abmalen oder sich farbig ausdrucken müssen, denn überspringen lässt sich bei The Whispered World nichts - was ja auch irgendwie Sinn macht, denn ohne seinen üppigen Rätsel-Fundus würde sich das Spielen mit Sicherheit anfühlen wie der Ritt eines toten Pferdes...

Viel schlimmer aber ist, dass der Rätselwahnsinn auch vor dem üblichen Adventure-Gameplay nicht Halt macht, denn hier trifft man auf mehr als eine baphometische Ziege. Ein Beispiel: Wir haben bei The Whispered World stets drei Funktionen zur Auswahl: Nehmen, Ansehen und Reden. Vor uns steht ein großer Suppentopf, in dem wir eine schmackhafte Schimmelsuppe zubereiten müssen, doch das Feuer ist nicht kräftig genug. Sadwick sagt: "Das Feuer ist ja gar nicht groß genug! Ich sollte Zündstoff nachlegen!". Gesagt, getan! Wir schmeißen eine Handvoll trockenes Heu hinterher, das Feuer wird größer, aber Sadwick reicht es noch immer nicht und er wiederholt seinen Spruch: "Das Feuer ist ja gar nicht groß genug! Ich sollte Zündstoff nachlegen!" Nun fängst du also an rumzulaufen, alles abzusuchen und zu versuchen, mehr Heu zu holen, mit einem Knüppel auf ein leeres Holzfass einzuprügeln - nichts funktioniert. Bis du irgendwann wieder ratlos vor dem Kessel stehst und aus lauter Verzweiflung, mehr aus einem Zufall heraus, mit dem Feuer redest. Und Sadwick pustet ins Feuer. Und siehe da: es brennt.

opaSo viele andere Wesen, wie zu Beginn des Spiels, trifft Sadwick leider selten. Hätte er Opa mit auf Reisen genommen, wäre das Spiel sicher witziger gewesen! Stattdessen trifft er nur immer wieder auf dessen multifunktionale Hose...

Nicht nur, dass eine solche Lösung eines Problems, die eigentlich dem durchgehenden Steuerungsprinzip zuwider läuft, in hohem Maße garstig ist - wie eben damals der Doppelklick auf die Ziege bei Baphomets Fluch, der der einzige Doppelklick im ganzen Spiel bleiben sollte -, sondern der Spieler wird durch Sadwicks ständiges Zündstoff-Gelaber auch schön auf der falschen Fährte gehalten. So etwas ist einfach unfair und darf meines Erachtens nach nicht sein. Punkt.

Andernorts macht The Whispered World es dem Spieler aber auch nicht gerade leicht. Du stehst im Wald und brauchst einen Ast? Geh drei Orte weiter und finde ihn in der dunkelsten, hintersten Ecke. Du hast eine Flasche im Inventar, die an der Oberseite wie ein Trichter geformt ist? Belästige einen alten Mann und schnappe dir sein Hörrohr! Solche Zwanghaftigkeiten sind ebenso lästig wie dumm und haben mich lange Zeit daran gehindert, The Whispered World durchzuzocken, auch wenn ich es immer und immer wieder versucht habe... oft sogar in Gesellschaft, um aus dem Motivationspool eines Anderen schöpfen zu können! Doch selbst der stoische Rian warf mit mir gemeinsam das Handtuch und so widmeten wir und gemeinsam etwas Schönerem.

tww 2013-09-16 21-09-52-05Und immer wieder: WTF?

Aber jetzt habe ich es tatsächlich geschafft, The Whispered World durchzuheizen – danke, Komplettlösungsmann! – und ich bin voller Genugtuung, sagen zu können, dass die Strapazen, die ich durchwandern musste, durch das Ende keineswegs gerechtfertigt worden sind. Das macht mir das Ranking leichter. Um es kurz zu machen: Es ist schäbig, nur ein Augenzwinkern lang und wer kurz vor dem ultimativen Finale speichert, weil er Angst hat, ihm könnte ein zweites Ende entgehen, der wird nach dem erneuten Laden feststellen, dass die angebliche Entscheidung doch keine war. Pph.

The Whispered World ist in den Kritiken hoch gelobt worden. Ich für meinen Teil kann nicht verstehen, warum. Natürlich hat es seinen Platz als Wegbereiter wirklich optisch schöner und hyper-atmosphärischer Adventures redlich verdient, doch das rechtfertigt für mich nicht Idiotie und Sadismus der Rätsel und des Mini-Spiel-Wustes, dem ich mich unterziehen musste, um ein unbefriedigendes Ende auf eine mittel-interessante Story zu erhalten. Außerdem ging mir Sadwicks deprimiertes Gefasel, so witzig es am Anfang auch sein mochte, schon bald ziemlich auf den Geist, und leider trifft er auf seiner Reise viel zu wenig Leute, die es schaffen, in witzigen Dialogen die Stimmung aufzuhellen. So latscht man stundenlang durch menschenleergefegtes Gebiet und ärgert sich dabei über die gnadenlosen Steuerung, die einen zwingt, Sadwick dabei zuzusehen, wie er in Schneckentempo von A nach B schleicht, denn manchmal sind die Karten so weitläufig, dass man die rettenden Doppelklick-Teleport-Pfeile nicht erreichen kann.

Einziger Lichtblick war für mich Sadwicks formwandelnde Raupe Spot und die Rätsel, die mit dem kleinen grünen Haustier zu lösen sind - die waren nämlich wirklich schlau durchdacht! Aber ansonsten: Ne, ne. Nicht mein Spiel. Kristin

The Whispered World

(Ranking)
C
RANK
Gut gemeint. C-Spiele haben ihre strahlenden Momente, aber in entscheidenden Situationen wird großes Potential verschenkt. Über keine anderen Spiele kann man sich so sehr ärgern.

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25. August 2008
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