Das Schwarze Auge: Memoria

(Artikel)
Kristin Riedelsberger, 15. September 2013

Das Schwarze Auge: Memoria

Typisch Daedalic?

Ich komme mir ganz schön blöd vor. Jedes Mal, wenn ich ein neues Daedalic-Spiel gespielt habe, unterliege ich der festen Überzeugung, dass nun sämtliches Potenzial des Adventure-Genres bis zuletzt ausgekostet worden ist. Ich überschlage mich in meinen Rezensionen in meiner Lobhudelei und haue euch einen Superlativ nach dem anderen um die Ohren: The Night Of The Rabbit, zum Beispiel nannte ich "außergewöhnlich", "fantastisch", "märchenhaft", "wunderschön" und von "außergewöhnlicher Komplexität". Und dann flattert Memoria in die Redaktion und ich bin hin und her gerissen, wie ich es denn nun bewerten soll. Es polarisiert gewissermaßen meine Gefühle...

Ich fang einfach mal mit etwas Negativem an, nur um euch im nächsten Absatz dann wieder mit einem großen Begeisterungssturm zu beglücken: Ich finde Memoria nämlich gar nicht sooo hübsch. Also, klar: Die handgezeichneten Hintergründe sind wie immer eine echte Augenweide, stecken voller liebevoller Details und egal, wo sich unsere Protagonisten auch bewegen: von der finster-unheimlichen Grabkammer bis zu den ehrwürdigen hohen Hallen Drakonias sprühen sie nur so vor Atmosphäre... Ähm... Ja, genau, aber diese komischen - so nannte Rian sie treffend - "3D-Polygone" im Vordergrund, die sehen immer noch irgendwie schäbig aus und verlangten mir zwei gute Stündchen der Gewöhnung ab, bevor ich mich endlich ganz entspannt und genussvoll der Story hingeben konnte, die - und ich hoffe, dass ich diese Formulierung noch nicht verwurstet habe - schlichtweg zum Niederknien ist. Und das nicht nur, weil Kevin Mentz in Memoria gleich zwei gekonnte Geschichten zu einem großen Ganzen verwebt.

nuriNach dem ersten Teil, DSA: Satinavs Ketten, hat Geron vor allem ein Ziel vor Auge: Die Fee Nuri wieder zurückzuverwandeln.

Denn natürlich muss auch die Geschichte aus Satinavs Ketten in Memoria ihre Fortführung finden: Der junge Vogelfänger Geron hofft, mit Hilfe des tulamidischen Händlers Fahi endlich die Fee Nuri zurückverwandeln zu können, die seit Teil I ihr Leben als Rabe fristen muss und langsam alle Erinnerungen an ihr einstiges Selbst verliert. Doch der fremdländische Hoffnungsträger ist zunächst einmal keine große Hilfe; im Gegenteil: Einen Tag nach dem Treffen ist Fahi verschwunden, eine Handvoll Andergaster steht zu Stein erstarrt vor seinem Zelt und Geron suchen seltsame Träume heim, in denen er nach und nach die Geschichte der verbissen nach Anerkennung strebenden Prinzessin Sadja erfährt - das "eigentliche" Abenteuer, das der Spieler in Memoria in Angriff nimmt.

Und so finden wir uns plötzlich, 500 Jahre früher, vor einer Grabhöhle im fernen Fasar wieder, aus der ein machthungriger Magier mit Sadjas Hilfe die geheimnisvolle Maske von Malakar in seinen Besitz bringen will. Doch anstatt ihren Begleitern die gefährliche Warnung, die den Grabeingang ziert, zu übersetzten, lässt sie sie direkt in ihr Verderben laufen, steckt die Maske in die eigene Tasche und stößt im Inneren der Höhle zudem auf einen sprechenden Zauberstab. Ist er gut, ist er böse, gar ein in ein Stück Holz gebannter Dämon? Er selbst hat keine Erinnerung an seine Vergangenheit, und weil er besondere Mächte hat, die Sadja nutzen kann, und vielleicht auch, weil sie durch ihr über Jahre hinweg erhärtetes Misstrauen in andere Menschen ohnehin sehr einsam ist, willigt sie ein, den Stab mit der sanften Stimme mit auf ihre Reise in die Wüste Gor zu nehmen - um dort die Dämonen in einer blutigen Schlacht zurückzuschlagen und endlich in die Geschichte, in die Erinnerung der Menschen einzugehen, die sie bislang stets verachtet haben.

sadjaDaedalic hat ein Faible für spezielle Helden: Zur irren Edna, dem depressiven Sadwick und dem ignoranten Rufus gesellt sich mit Sadja eine verbissene, wütende und sehr verletzte Einzelkämpferin.

Und doch: Zu Gerons Zeit erinnert sich niemand mehr an die junge Prinzessin. Es ist, als habe sie nie existiert. Plötzlich war jegliche Erinnerung an sie ausgelöscht – und alles was blieb, war eine leere Seite in Satinavs Buch der Zeit, in dem doch eigentliches alles steht, was jemals passiert ist, gerade passiert und passieren wird.

Alles bei Memoria dreht sich um Zeit, um Wirklichkeit, um Erinnerungen eben. Niemand erinnert sich an Sadja, Nuri verliert ihre Erinnerungen an ihre Vergangenheit, der Stab weiß nicht, wo er herkommt, und auch die Maske nimmt unmittelbaren Einfluss auf die Synapsen ihres Trägers. Das alles schreit ja schon förmlich nach einer tiefgehenden Story mit mehreren Ebenen, logischen Verstrickungen und überraschendem Ausgang, und auch, wenn ich euch unmöglich mehr verraten kann, ohne euch hemmungslos in Grund und Boden zu spoilern: genau so eine wird euch in Memoria vorgesetzt. Das, was der Spieler beim aktuellen DSA-Adventure-Nachfolger storytechnisch zu erwarten hat, kann mit dem dicksten Fantasy-Wälzer locker mithalten – und das bei 10-12 Stunden Spielzeit!

Dabei bleibt Memoria durchgehend geheimnisvoll und finster, große Lacher und kleine Schmunzler bleiben, wie beim ersten Teil, eine echte Seltenheit. Es ist aber auch einfach keine nette Geschichte, die uns hier erzählt wird, denn Sadja - ohnehin keine Ulknudel, sondern eine tief verletzte, verbitterte Kämpferin - lebt in einer Zeit des Krieges. Wunderschöne, mystische Gärten wechseln sich ab mit finsteren Wäldern oder einem blutigen, von Leichen überhäuften Schlachtfeld und sepiafarbene, schattenreiche Sequenzen lehren den Betrachter die Furcht vor der unheimlichen Maske von Malakar... Doch gerade diese stets greifbare Ernsthaftigkeit sorgt dafür, dass Memoria konstant spannend bleibt, bis sich schließlich alle Fäden des großen, verwirrenden Story-Netzes zusammenfügen.

verzäuntMemoria ist kein witziges Spiel, und doch sorgen zum Beispiel so offenbar völlig hoffnungslose Situationen wie diese kniehohe Absperrung vor dem guten Geron doch hin und wieder für ein breites Grinsen.

...So. Genug rumgelobt. Ich wollte ja auch ein bisschen schimpfen, und das mach ich jetzt auch: Systemanforderungen. Doppel-CD. 40 (!) Minuten Installationszeit! Und nach jedem Szenenwechsel: LAAAAG! Ich gebe zu, dass ich nicht die beste Grafikkarte und den härteste Arbeitsspeicher in meinem Silberkasten beherberge, aber wieso ein Point&Click Adventure so mit Bits und Bytes vollgestopft werden muss, das versteh' ich einfach nicht. Das muss man doch irgendwie anders packen können. Memoria ist nun nicht wirklich hübscher als The Night Of The Rabbit und da hat mein Rechner ja auch mitgespielt. Und wie gesagt: Auf diese Möchtegern-3D-Abziehbildchen verzichte ich nur allzu gern.

Besonders ätzend ist so ein Rumgelagge, wenn es im Spiel Rätsel gibt, die einem viiieeel Hin- und Hergelaufe abverlangen. Memoria zum Beispiel beglückt den Spieler schon bald mit einem schier endlos großen Wald-Labyrinth, das ich Dank meines mathematischen Sidekicks schließlich mit Graphen-Tiefensuche bewältigte. Mir persönlich hat das ja komischerweise Spaß gemacht, immerhin war es absolut realistisch, dass sich Stadtkind Sadja allein in der Wildnis erst mal hart verlaufen muss. Aber der eingefrorene Mauszeiger nach jedem verdammten Einscheren nach Links oder Rechts hat mich fast in den Wahnsinn getrieben.

atmosphäreTypisch Daedalische Hintergründe: Einfach wunderschön und endlos atmosphärisch.

In meiner Verzweiflung habe ich beim ersten Durchgang das Labyrinth mit Hilfe des einladend in der Ecke blitzenden Forward-Buttons übersprungen, doch als ich dann plötzlich mit sämtlichen Gegenständen, die ich auf dem Weg durch den Wald noch hätte einsammeln und mir durch Kombinieren hätte erschließen müssen, vor der nächsten Etappe stand, fühlte ich mich schon ein bisschen um meinen Spielspaß gebracht, sprang an den vorherigen Speicherstand zurück und legte noch einmal von vorne los. Es war zwar nicht viel, was unterwegs noch getan werden musste, trotzdem empfand ich es als eine kleine Schweinerei, dass man mich mit der Überspringen-Funktion dieser kleinen Zwischenstopps beraubt hatte.

hässlichWas allerdings die... experimentell animierten Tiere und Menschen angeht, die sich vor den abwechslungsreichen Kulissen tummeln, bin ich ganz auf Gerons Seite.

Ansonsten möchte ich Memoria rätseltechnisch ein fettes Lob aussprechen, denn die gehen über ein "Kombiniere Stock mit Faden, erhalte Angel" weit hinaus, sind sehr einfallsreich und auf jeden Fall von der anspruchsvollen Sorte. Oftmals kommt es auf die richtige Reihenfolge an, in der man Gegenstände miteinander kombinieren oder Aktionen starten muss, und besonders die Zauber bringen noch einmal eine Extra-Brise frischen Windes in den Spielverlauf: Kaputtmachen, Heilmachen, Versteinern, Entsteinern, Visionen schicken... Memoria stellt den Spieler vor eine ganze Reihe von Möglichkeiten – leider kommt jeder der Zauber nur so drei bis vier mal zum Einsatz. Damit haben die Autoren meines Erachtens mindestens einen Esslöffel Potential verschenkt, denn besonders die Idee des Visionenschickens, bei der einem Interaktionspartner mit Hilfe von dreien der im Raum herumliegenden Gegenstände Stimmungen und Ideen vermittelt werden müssen, hat mich tief beeindruckt.

Während des Spiels darf man selbst Entscheidungen treffen, die wirklich etwas verändern! Hin und wieder gibt es tatsächlich ein richtig oder falsch und wer nicht aufpasst, der hat das Spiel schneller durchgezockt, als ihm lieb ist. Und dann gibt es noch die moralischen Entscheidungen, die getroffen werden müssen und die vor allem für die innerliche Identifikation mit Sadja oder Geron wichtig sind...

entscheidungWer die Wahl hat, hat die Qual. Und wer nicht aufpasst, kann die wunderschöne Abspann-Musik von den Nights Of Soundtrack schneller genießen, als ihm lieb ist.

Die Geschichten von Sadja und Geron sind so verschachelt, so gut durchdacht, so philosophisch und letztendlich so fantastisch verwoben, dass Memoria für mich storytechnisch auf jeden Fall The Night Of The Rabbit, A New Beginning und auch Edna bricht aus übertrumpft. Die Rätsel sind einfallsreich, die Grafik reicht von wunderschön bis meh und die Systemanforderungen bereiteten mir während des Spielens echtes Kopfzerbrechen. Dazu addiert sich noch die – wieder einmal – tolle Musik von den Knights Of Soundtrack und ein Sprecherensemble, das seinen Job... solide meistert. Hmpf.

Die eigentliche Frage ist ja: Solltet ihr es spielen oder nicht? Und darauf kann ich wie bei jedem Daedalic-Spiel immer und immer wieder nur dasselbe antworten: Ja, auf jeden Fall! Aber rüstet eure Hardware vorher entsprechend auf. A. Minus. Kristin

Das Schwarze Auge: Memoria

(Ranking)
A
RANK
Reife Leistung. A-Spiele machen alles richtig oder sind nah dran. Kleine Schwächen werden durch Stärken mehr als wett gemacht. Das ist Spieldesign auf hohem Niveau.

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30. August 2013
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