Earthbound

(Artikel)
Torsten Ingendoh, 20. August 2013

Earthbound

Fuzzy Pickles

Die Mother-Serie ist eine von diesen alten SNES-RPG-Serien, die es nie aus Japan heraus geschafft haben... naja, fast nicht. Mother 2: Giygas Strikes Back wurde 1995 in den USA als Earthbound veröffentlicht. Und blieb wie Blei in den Regalen liegen, wodurch es auch den Sprung nach Europa nicht schaffte. Dank Super Smash Bros. entwickelte sich dieses Spiel Jahre später aber zu einem Kulttitel und ist ein begehrtes Sammlerobjekt (gerne mal 200$ bei eBay). Das ist auch Nintendo nicht entgangen und bietet uns nun diesen Kulttitel auf der Virtual Console für die Wii U an. Und damit auch zum ersten Mal in Europa.

Earthbound erzählt die Geschichte von Ness, einem Jungen aus Onett, der in der Lage ist eine mysteriöse Kraft namens PSI zu verwenden. Eines Nachts stürzt dann ein Meteorit in Onett ab. Neugierig, wie der Junge nun mal ist, macht er sich auf den Galaktischen Felsen zu untersuchen. Aber die Polizei ist schon längst vor Ort, ebenso der Nachbarsjunge Pokey. Nach einen kurzen Plausch mit ihm geht es zurück ins Bett. Aber nur kurz. Pokey ist an der Tür. Sein Bruder Pikey ist zum Meteoriten gelaufen, als die Polizei abrückte.

Also geht es mitsamt Hund und Pokey zurück zum Meteoriten. Der Meteorit ist aber nicht komplett unbewacht: Gegner in Form von Krähen und Streunern lauern überall. Spätestens jetzt sollte einem Auffallen, dass Earthbound einfach anders ist als die anderen SNES-RPGs. Die Hintergründe im Kampfbildschirm sind alle seltsam, fast schon psychedelisch gestaltet und die Musik klingt nicht wie klassische Kampfmusik. Doch zum Kampfsystem später mehr.

Am Meteoriten angekommen, werden die beiden Brüder wieder vereint. Dann vernimmt man ein Summen und jetzt wird's abgefahren: Der Felsbrocken ist in Wahrheit eine Zeitmaschine gewesen. Mit dieser Zeitmaschine ist ein Wesen namens Buzz Buzz 10 Jahre zurückgereist, um eine schreckliche Zukunft zu verhindern. Der Kosmische Zerstörer Giygas hat die Erde mit Chaos überzogen und Ness ist der Auserwählte, um ihn aufzuhalten. Auf seiner Reise begegnen ihm dann auch die drei anderen Helden. Paula, gefährliche PSI-Anwenderin, Jeff, Erfindergenie, und Poo (ja, ernsthaft), Martial-Arts-Experte.

Earthbound3Weitergehen, hier gibt es nichts zu sehen

Earthbound ist ein Spiel mit Humor. Einem sehr eigenwilligen Humor. Ständig passiert irgendwas Schräges und die Welt ist vollgepackt mit seltsamen Gestalten und deren zitierwürdigen Sprüchen. So verlangt der Fotograf, der immer wieder Fotos von Ness und seiner Gruppe macht, dass man anstelle von "Cheese" die Kamera mit "Fuzzy Pickles" (Behaarte Gurke) begrüßt. Und das macht den Reiz der Geschichte aus. Sie spielt in einem Amerika aus der Sicht von Leuten, die noch nie dort gewesen sind, gemacht von Leuten, die sich mit Rollenspielen auskennen. Anstelle von Schwertern und Bögen wird mit Baseballschlägern und Steinschleudern gekämpft, Magie und Mana sind PSI und PP (Psychic Points), Gasthäuser sind Hotels, Kirchen mit Heilpriestern sind Krankenhäuser mit Ärzten und neue Waffen gibt es in Kaufhäusern anstatt bei Schmieden.

Womit soll man das alles bezahlen? Mit Dollar natürlich. Und die gibt es vom Vater, den man nie sieht, direkt aufs Konto überwiesen, wenn man einen Kampf gewinnt. Ganz recht, Gegner lassen kein Geld fallen, stattdessen bekommt man Taschengeld. Und um damit was zu kaufen, muss man es vorher am Geldautomaten abheben. Es sind solche Details, die zeigen, wie detailreich dieses Spiel ist.

Wo wir grad bei Kämpfen sind: Auch hier zeigt Earthbound seine Einzigartigkeit. Pauschal ist es ein klassisches, rundenbasiertes Kampfsystem, allerdings mit ein paar Eigenheiten. Die Auffälligste sind die sogenannten "Rolling Hit Points": Wenn man Schaden nimmt, verliert man nicht sofort die Trefferpunkte - stattdessen wird die Lebensenergie runter gezählt. Damit kann man tödliche Treffer eventuell noch verhindern, indem man rechtzeitig heilt bzw. alle Gegner schnell genug besiegt, bevor man auf 0 gefallen ist. Das kann auch ganz schnell die Strategie kurzzeitig ändern, da dies in Echtzeit passiert. Wer heilen kann, heilt den tödlich Verwundeten, und der Rest haut nur drauf, damit die Animation schön kurz ist. Eine neue Art von Frust, wenn man es dann doch nicht rechtzeitig schafft.

Frust ist leider auch eine Geschmacksrichtung, die einem dieses Kampfsystem liefern kann. Entweder hatte ich wirklich, WIRKLICH oft dickes Pech, oder die Trefferchancen für Angriffe sind tatsächlich verhältnismäßig gering. Es ist mir mehrmals passiert, dass alle vier Partymitglieder ständig verfehlt haben, wodurch ein eigentlich einfacher Gegner richtig gefährlich wurde. Und dann gibt es Gegner, die einen tierisch in den Wahnsinn treiben können: manche rufen pausenlos neue Verbündete, manche beherrschen Angriffe, die mit einem Schlag tödlichen Schaden verursachen können, oder mein absoluter Hassgegner: Heilt sich jede Runde vollständig und man muss starke PSI-Attacken verwenden, um ihn zu besiegen. Oh, und manche explodieren beim Sterben, weswegen man diese als letztes ausschalten sollte. Das weiß man natürlich erst beim zweiten mal.

Zusätzlich haben die Kämpfer auch ein paar Spezialfähigkeiten. Paula kann im Kampf beten, wodurch irgendein zufälliger Effekt ausgelöst wird, sowohl gut als auch schlecht, Jeff kann Gegner untersuchen und so Schwachstellen herausfinden, und Poo (ernsthaft Leute, der heißt wirklich so) kann sich per Spiegel in einen Gegner verwandeln. Oftmals ein zweischneidiges Schwert. Beten kann zwar den Kampf erheblich vereinfachen, aber nicht selten passiert irgendwas für die Gruppe Schädliches völlig Nutzloses. Angriff vergeudet. Poos (wenn's euch nicht gefällt, den kann man am Anfang selbst benennen) Spiegel schlägt oft einfach nur fehl, da man erst mal herausfinden muss, in welche Gegner man sich verwandeln kann und in welche nicht.

Ness hat als Spezialfähigkeit, dass er einfach der beste Kämpfer von allen vieren ist. Das liegt nicht zuletzt daran, dass man mit ihm ständig mehrere Level Vorsprung vor den anderen hat. Warum? Weil bis auf Poo (ich hab ihn übrigens Derik getauft) alle neuen Partymitglieder bei Level 1 anfangen. Ich war bereits etwa Level 15, als ich Paula erhielt. Jeff hat immerhin den Vorteil, dass man mit ihm erst zu Ness und Paula vorstoßen muss. So fängt er zwar bei Level 1 an, ist aber schon stärker, wenn er auf den Rest trifft. Nicht zuletzt vergrößert sich aber der Abstand wieder gegen Ende, da Ness ein ganzes Dungeon für sich alleine bekommt. Ich habe das Spiel mit Ness auf Level 82 beendet, während der Rest so zwischen 60 und 65 lag. Wie gesagt: Das Spiel ist ungewöhnlich.

Earthbound1So sieht der Kampfbildschirm aus. Schräg.

Es ist eigentlich nicht meine Art, über den Endkampf in solch einem Artikel zu reden, aber ich finde in diesem Falle ist es notwendig ein paar Worte darüber zu verlieren. Giygas ist... anders. Sehr anders. Ich gebe zu, ich wusste über diesen Kampf vorher Bescheid und eine meiner Triebfedern, dieses Spiel zu spielen, war die Konfrontation mit dem Obermotz. Ich wollte diesen Kampf selbst erreichen, selbst erleben. Und obwohl ich genau wusste, was zu tun ist und was passiert, Giygas wirkte. An alle, die nicht wissen, worüber ich spreche, möchte ich daher nur eines sagen: Ihr werdet diese Auseinandersetzung nicht vergessen, glaubt es mir. Und wenn ihr nun vorhabt, Earthbound wirklich zu spielen, geht allen Informationen über dieses Duell aus dem Weg.

Was lässt sich zum Abschluss nun über Earthbound sagen? Es ist wohl eines der ungewöhnlichsten und einzigartigsten Spiele, die ich jemals gespielt habe. Mir hat der Humor zugesagt, die Geschichte fand ich herrlich abgedreht und überraschende Momente gibt es am laufenden Band. Sei es, weil man plötzlich gegen wildgewordene Taxis und Straßenschilder kämpft, oder weil man drei minuten still stehen muss, damit sich eine Tür öffnet. Earthbound kann man nur vorhersagen, wenn man es schon durchgespielt hat.

Spielerisch habe ich aber gemischte Gefühle. Das Kampfsystem ist zwar erfrischend anders, kann aber gut und gerne extrem nervig sein. Gute Ideen, wie die Funktion, dass man Kämpfe automatisch gewinnt, wenn der Gegner zu schwach ist, und die "Rolling Hit Points" machen durchaus Spaß. Im gleichen Atemzug kriegt man dann aber Gegner, die einem die Hölle heiß machen, und die Gewissheit, dass man grinden sollte. Immerhin, im Falle eines Game Overs darf man ohne Fortschrittverlust weitermachen. Man verliert dann nur die Hälfte des mitgeführten Geldes und nur Ness wird wiederbelebt, allerdings mit 0 PP. Außerdem hab ich viel zu spät herausgefunden, dass ich bereits lange einen Wiederbelebungszauber beherrschte. Dieser ist "getarnt" als die dritte Stufe des Statusheilzaubers.

Am Ende konnte ich über viele dieser Mängel doch hinweg sehen. Earthbound hat Spaß gemacht und ich bin froh dieses Spiel durchgezockt zu haben. Ob ich es in absehbarer Zeit erneut durchspielen werde? Vermutlich nicht. Kann ich es ruhigen Gewissens weiterempfehlen? Jein. Das hängt ganz von euch ab: Mögt ihr SNES-RPGs, schrägen Humor und Spiele, die sich selbst nicht zu ernst nehmen? Dann ist Earthbound genau das Richtige für euch. Klingt euch das Ganze zu albern, dann wird euch dieser Kauf wohl wenig Freude bereiten.

Earthbound

(Ranking)
B
RANK
Anständig. Stärken und Schwächen halten sich die Waage. Positive Überraschungen sind genauso selten wie negative. Unterm Strich muss man seine Spielzeit keinesfalls bereuen.

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Spiele des Artikels

RELEASE
17. August 1994
PLATTFORM
Super Nintendo
Plattform
Wii U
Plattform

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