The Ultimate History of Video Games

(Artikel)
Haris Odobašic, 10. Juli 2013

The Ultimate History of Video Games

Alles, was man wissen muss

Obwohl sich Videospiele immer mehr zum wohl wichtigsten Unterhaltungsmedium unserer modernen Zeit entwickeln, fehlt es irgendwie noch immer an qualitativen Büchern, die sich tiefergehend mit der Thematik beschäftigen. Es gibt das gute "Game Over" von David Sheff, welches aber nur eine kurze Periode der Geschichte von Nintendo beleuchtet, oder auch das deutschsprachige "Wir waren Space Invaders", das einen etwas breiteren Blick bietet, aber mit seinen Lücken kaum einen Anspruch auf Vollständigkeit erheben kann. The Ultimate History of Video Games von Steven L. Kent schickt sich an, eine möglichst komplette Übersicht über die Geschichte der Videospielindustrie zu bieten.

Dabei wird eine sehr große Zeitperiode in dem 2002 erschienen und heute noch immer vertriebenem Werk beachtet: konkret geht es von den frühesten Anfängen der Spielhallen irgendwann vor dem zweiten Weltkrieg bis hin zu Microsofts Einstieg ins Konsolengeschäft. Dabei wird quasi kein wichtiges Kapitel ignoriert. Egal ob der Krieg zwischen Nintendo und Sega, die vielen gerichtlichen Auseinandersetzungen zwischen den unterschiedlichen Konsolenherstellern oder natürlich der Videospielcrash der frühen 80er, zu allem erzählt der Autor locker, aber doch sachlich, von den Hintergründen, garniert mit interessanten Anekdoten und natürlich knallharten Fakten. Und selbst als jemand, der ein großes Interesse an Videospielgeschichte hat, gab es in dem Buch doch eine Menge interessanter Details, die ich so noch nie wahrgenommen hatte.
Kent fokussiert dabei wirklich auf die Geschichte der Videospiele, mit allem, was dazu gehört, also insbesondere auch den Spielhallen. Was hingegen nicht dazu gehört, sind Computerspiele und damit auch Heimcomputer wie der C64, die deswegen meist nur erwähnt werden, wenn es eine direkte Verbindung zu einer Person oder einem Spiel gibt, das auch für die Geschiche der Videospiele relevant ist. Ebenso ist der Fokus auf dem amerikanischen und japanischen Markt - die europäische Situation wird, ähnlich wie die Bemühungen der Hersteller damals, eher stiefmütterlich behandelt.

Um dieses Buch zu schreiben, hat Stephen L. Kent eine Vielzahl von Personen interviewed, die irgendwie der Videospiel-Geschichte ihren Stempel aufgedrückt haben. Egal ob es um Designer à la Miyamoto und Naka oder Anzugträger wie Ray Kassar (CEO von Atari in den späten 70ern und frühen 80ern) geht, Kent hat es geschafft, so ziemlich jeden für sein Buch zu gewinnen und benutzt die entstandenen Interviews sehr liberal. Es gibt kaum eine Seite im Buch, die nicht durch ein Zitat einer wichtigen Person untermauert wird. Dort werden dann Anekdoten erzählt, damalige Geschehnisse kommentiert oder auch mal mehrere Personen quasi direkt gegenübergestellt. Das gibt dem Buch nicht nur eine Aura der Authentizität, sondern lässt es richtig lebendig wirken, fast, wie als wenn diese ganzen Legenden der Videospielindustrie zum Leser höchstpersönlich aus dem Nähkästchen plaudern würden. Dieser geniale Schachzug ist einer der wichtigsten Faktoren, die dazu führen, dass man gar nicht mehr aufhören will zu lesen. Ich habe das Buch sechs Monate liegen gelassen, aber als ich dann anfing zu lesen, haben die 600 Seiten keine drei Tage gehalten.

Es ist nur etwas schade, dass sich das Buch beim Lesen gelegentlich etwas sperriger gestaltet als nötig. Kent scheint eine Vorliebe für Zeitreisen zu haben, da anders die vielen Zeitsprünge, die er im Buch vollzieht, kaum zu erklären sind. Immer wieder kann ein Kapitelwechsel auch bedeuten, dass man plötzlich mehrere Jahre in der Zukunft landet, weil eine neue Konsole erschienen ist und ihre Geschichte beleuchtet wird, und im nächsten Kapitel ist man plötzlich wieder in der Vergangenheit und folgt der Hauptzeitlinie, die die allgemeine Entwicklung der Industrie abbildet.
Und leider tendiert Kent auch dazu, sich übermäßig zu wiederholen. Dass manche schon etablierten Fakten plötzlich in späteren Kapiteln wie neue Erkenntnisse behandelt werden, wirkt beim Lesen etwas dröge und erweckt den Eindruck, dass die Kapitel unabhängig voneinander geschrieben wurden. Das macht es schwer, eine klare Linie zu erkennen, der das Buch als Gesamtwerk folgen sollte, ist aber gleichzeitig auch nur ein marginales Ärgernis, das an der hohen Qualität des Buches knabbert.

Das Buch trägt seinen Namen, zumindest für die Zeitperiode, die es betrachtet, absolut zu Recht, bis hin zu dem Punkt, dass man als Leser wirklich überrascht ist vom Detailreichtum, der einem entgegenschlägt. Es gibt auf dem Markt einfach kein kompletteres Werk zu dem Thema, was, zusammen mit der lebhaften Schreibe und der Vielzahl an Zitaten, diese Lektüre zu einem absoluten Pflichtwerk für jeden macht, der auch nur ein bisschen an Videospielen und ihrer Geschichte interessiert ist. The Ultimate History of Video Games ist so vollständig, dass am Ende nur noch eine einzige Frage offen bleibt: wann erscheint endlich eine aktualisierte Fassung, die sich um die Zeit nach 2001 kümmert? Haris

Kommentare

Rian
18. Juli 2013 um 01:27 Uhr (#1)
Good guys, bad guys, and explosions as far as the eye can see
Gast
29. März 2024 um 13:20 Uhr
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