Primordia

(Artikel)
Rian Voß, 13. Juni 2013

Primordia

Selbstfindung, Religion und Roboter

Optimisten stellen sich die technische Singularität etwa so vor: Die Entwicklung von Künstlicher Intelligenz gewinnt immer mehr an Fahrt, so dass sich die Maschinen bald von selbst verbessern können. Alles, was den Menschen dann noch zu tun bleibt, ist sich auf die faule Haut zu legen und die exponentielle Erweiterung des Fortschritts zu genießen. Primordia zeichnet da ein anderes Bild: Vier Städte stehen noch auf der Erdoberfläche, alle von Robotern bewohnt, dazwischen karges Ödland. Von Menschen keine Spur. Trostlos ist das klassische Grafikadventure von Wormwood Studios deswegen aber noch lange nicht.

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Hausfriedensbruch in der Endzeit
Horatio Nullbuilt (v5), gläubiger Humanist und exzellenter Ingenieur, arbeitet mit seinem sprücheklopfenden Helferlein Crispin schon eine ganze Weile daran, ein Sternenschiff wieder flott zu machen. Das Raumfahrzeug mit der Kennung UNIIC ist seit langer Zeit inmitten von Schrott und Ruinen des Primordium - prähistorischer Tage, in denen die mythischen Menschen die ersten Roboter geschaffen haben sollen - gestrandet, und das Projekt scheint mangels Ersatzteilen, helfender Hände und dem nötigen Schuss Motivation wohl eher Beschäftigungstherapie denn Lebensziel für die beiden Roboter zu sein, die sich in der Einsamkeit eigentlich ganz wohlfühlen. Das gilt vor allem für Horatio, der immer mal wieder an herausbaumelnden Kabeln und kleinen Bruchstellen herumpfriemelt anstatt die Ärmel hochzukrempeln. Crispin hätte wiederum nichts dagegen, alles stehen und liegen zu lassen und in die sagenhafte Stadt Metropol aufzubrechen, wo es genug Energie für jedermann geben soll. Dieser sich selbst erhaltende Kreislauf wird aber unlängst unterbrochen, als sich eines Tages ohne Vorwarnung ein fetter Killerbot mit Lasern durch die Bordwand des Maschinenraums schneidet und den Energiekern klaut. Die Panik ist groß: Ohne den Kristall wird Horatio und Crispin bald der Saft ausgehen! Und so füllt sich die akute To-Do-Liste: Den Notstromgenerator zum Laufen bringen und eine alternative Energiequelle finden. Falls das nicht klappt: den hässlichen Räuber ausfindig machen, ordentlich weichklopfen und den Energiekern zurückerobern.

Details und noch mehr Details
Grafisch erinnert der Rückschritt in die pixeligen, aber immer noch künstlerisch anspruchsvollen, frühen Adventure-90er an einen anderen von Wadjet Eye vertriebenen Titel: Gemini Rue - Verschwörung auf Barracus. Viel Mühe ist in die Herstellung detailgespickter Umgebungen geflossen, bei denen man sich gar nicht vorstellen mag, wie sehr die Grafiker geflucht haben müssen, wenn es den Leveldesignern wieder nach einem Schrottplatz voller Kleinstgeräte verlangte. Oder hunderter leuchtender Armaturen. Oder einem ganzen Bahnhof plus heruntergekommener Lok, welche man beide vielleicht eine volle Minute zu Gesicht bekommt. Durch die altbackene Optik wird das artistische Geprotze taktvoll verschleiert und die grobkörnige Bildschirmauflösung trägt dazu bei, alles in der Welt von Primordia noch ein wenig rostiger, rauer und kaputter aussehen zu lassen.

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Historiker an die Front
In einer solch liebevoll gestalteten Welt möchte man am liebsten gleich ein wenig herumforschen. Wofür hat unsere Hauptfigur schließlich Metallhände, wenn man damit nicht ohne Angst vor Tetanus in Müllbergen nach verwertbaren Materialien kramen soll? Dabei wollen die Bildschirme nicht nur in alter Adventure-Tradition nach versteckten Gegenständen, sondern auch nach altem Hintergrundwissen abgesucht werden. An allen Ecken und Enden, nicht zuletzt in Metropol (wo es, einmal erwähnt, die beiden ungleichen Helden natürlich früher oder später hinverschlagen wird), findet man subtile und auch platzhirschige Hinweise auf die Vergangenheit - nicht nur die der Welt und der Menschen, sondern auch Horatios. Der arme Kerl kann sich nämlich, seitdem er vor Jahren auf die UNIIC gestoßen ist, an nichts mehr erinnern. Aber eigentlich ist es ihm auch egal, denn heute ist er, wer er ist: Version 5. Wer die vier vor ihm waren, ist nicht so wichtig. Aber im Spieler wird natürlich die Neugierde auf die Lösung dieses Mysteriums geweckt.

Verkehrte Welt: Die Humanisten von Primordia entsprechen unseren Kreationisten. Dagegen scheint der Glaube an die Progression in Metropol eher der Evolutionslehre zu entsprechen. Als menschliche Spieler finden wir den Humanismus automatisch sympathischer und fühlen uns zu Horatio verbunden, der für seine Religion in Metropol nur böse Blicke erntet.
Mehrere Lösungswege
Dabei kann man sich clever anstellen, oder auch weniger: Während es niemals möglich ist, sich in eine Sackgasse zu verrennen, kann die Art, wie man Probleme löst, doch Auswirkungen auf einige Ereignisse haben. Haut man etwa bei den Multiple-Choice-Antworten einem Logikrätsel, das einen Streit zwischen zwei Erfindern schlichten soll, zweimal daneben, darf man keinen dritten Versuch wagen und muss zusehen, wie man ein anderes Problem etwas umständlicher gelöst bekommt. Genauso verhält es sich mit der ewigen Nebenquest, mehr über das Schicksal von Horatio und den Menschen zu erfahren: Manchmal stößt man Türen zu und nur ein Reload oder ein zweiter Spieldurchgang kann das ganze Puzzle entschlüsseln. Genug Ansporn dazu gibt es auf jeden Fall. In diesem Sinne ein Lob an die Weltenbauer von Primordia, die durch diskrete Andeutungen Tiefe und eine dichte Atmosphäre schaffen, sowie an die sehr guten, englischen Synchronsprecher, die den ohnehin schon stilvollen und facettenreichen NPCs den letzten Schliff verleihen. Da steckt man auch mal einen von Crispins misslungeneren Schenkelklopfern weg, wenn Horatios Stimme mit uns zusammen die Augen verdreht.

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Story: OK.
Wo die Welt zu überzeugen weiß, wirkt der Plot allerdings vergleichsweise platt. Es passiert schon einiges, aber orientiert an kurzen und knackigen, klassischen Adventures wie Beneath a Steel Sky kommt das Ende unerwartet schnell. Auch wenn die letzten paar Spielminuten einen gebührlichen Vorlauf haben, in dem die Spannung auf den Showdown merklich steigt, fehlt doch irgendwo ein dritter Akt oder ein gehöriger Subplot, der Bögen zu schlagen vermag und ein wenig von Horatios zielgerichtetem Bestreben, eine neue Energiezelle zu finden, ablenkt. Da mag es auch der etwas müde Plottwist im zweiten Drittel nicht herauszureißen.

Wer nicht Englisch kann, schaut in die Röhre: Weder Stimmen noch Texte wurden bisher eingedeutscht.
Der schäbigste Palm-PC der Welt
Für andere Zerstreuung sorgen dann eher die Rätsel, die sich zum Großteil sehr logisch präsentieren. Kabelrätsel, Schalterrätsel, Logikrätsel. Objekte lassen sich natürlich miteinander kombinieren und ergeben nützliche Geräte. Häufig müssen auch Codes geknackt werden und laden zum eifrigen Mitschreiben per Stift und Papier ein. Zwar verfügt Horatio selbst über ein digitales Journal, in dem er die wichtigsten Sachen vermerkt, aber dessen Bedienung ist so unhandlich und es ist mit der Zeit so vollgestopft, dass man lieber auf seine eigenen Notizen zurückgreifen sollte. Trotzdem läuft man dann doch mal gegen die ein oder andere Wand, weil Aufgaben merkwürdig gestellt sind und man fast nur noch raten kann, oder weil sich ein unscheinbares Item doch auf irgendeinem Screen unter dem zweiten Pixel von links versteckt hat.

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Primordia hat sich in der einen, langen Nacht, in der ich es bezwang, zu einem meiner Lieblingsadventures avanciert. Die Welt ist eine der bestgestaltetsten, die mir je untergekommen sind, die Charaktere sind fesch und die Möglichkeit, hin und wieder Probleme auf eine andere Weise zu lösen als beim letzten Mal, laden zu einem zweiten Durchspielen ein. Allein kleine Bedienungsmacken und der schnell weggelutschte Hauptplot drücken die Spielerfahrung ein wenig. Aber nicht sehr. Probiert Primordia, in diesem Adventure gibt es was zu entdecken! Rian

Primordia

(Ranking)
A
RANK
Reife Leistung. A-Spiele machen alles richtig oder sind nah dran. Kleine Schwächen werden durch Stärken mehr als wett gemacht. Das ist Spieldesign auf hohem Niveau.

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29. März 2024 um 14:56 Uhr
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RELEASE
05. Dezember 2012
PLATTFORM
PC
Plattform - PC-Spiele haben mit die älteste Tradition. Heutzutage laufen die meisten Games unter dem Microsoft Windows.

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