Nur ein Wort: Niedlich!

(Artikel)
Kristin Riedelsberger, 31. März 2013

Nur ein Wort: Niedlich!

Ni No Kuni - Der Fluch der weißen Königin

Eine Sache ist mir innerhalb der letzten Woche klar geworden: Bisher hatte ich es mit meinen Rezensionen immer sehr leicht. Beim Landwirtschaftssimulator, zum Beispiel, hatte ich mich schon im Vornherein auf das Schlimmste eingestellt, sah nach drei Stunden Spielzeit meine Befürchtungen bestätigt und konnte frisch und frohen Mutes in meinen Artikel stolpern. Bei Ni No Kuni ist das viel schwieriger.

Die Erwartungen waren zunächst einmal unermesslich groß. Schließlich handelt es sich hier um ein RPG, das unter Mitwirkung des japanischen Zeichenstudios Studio Ghibli entstanden ist, und ich liebe Ghibli! Chihiros Reise ins Zauberland habe ich mittlerweile bestimmt ein Dutzend Mal gesehen und an diesem Film liebe ich einfach alles: den Zeichenstil, die Musik, die Charaktere. Und ja, all diese Dinge liefert auch Ni No Kuni, nur… leider… irgendwie… ist es trotzdem langweilig, so leid es mir auch tut.

Und dabei fängt die Geschichte um den dreizehnjährigen Oliver so vielversprechend an: Nachdem er mit der selbstgebauten Knatterkiste seines Kumpels Phil im Kanal gelandet und von seiner herzkranken Mutti aufopferungsvoll vor dem Ertrinken gerettet wurde, muss er mit ansehen, wie sie vor seinen Augen stirbt. Jetzt ist Oliver ganz allein. Traurig und voller Schuldgefühle verschanzt er sich in seinem Kinderzimmer und weint dicke Krokodilstränen, die irgendwann auch auf einem alten Plüschtier landen, das ihm seine Mutter einst geschenkt hat. Das Plüschtier wird natürlich lebendig, heißt Drippy und behauptet, eine Fee zu sein, eine Fee aus einer anderen Welt. Eine Fee aus einer Welt, in der alle Bewohner aus Ollis Heimatstadt Motorville einen Soulmate haben, und in der deshalb auch seine Mutter einen Soulmate hat, nämlich die große Magierin Alicia. Diese sei zwar noch am Leben, befinde sich aber seit Jahren in einer Art Gefängnis, eingesperrt durch den üblen Bösewicht Shadar, dem Executor, der die Herzen der Menschen stiehlt und beide Welten ihrem Ende entgegenführen wird, sollte Oliver nichts dagegen unternehmen. Denn Oliver sei der Reinherzige, the pure-hearted one, ein Magier und habe die Macht, Shadar zu besiegen und Alicia zu retten - und damit vielleicht sogar seine Mutti wieder zum Leben zu erwecken.

Über Oliver gibt es sonst eigentlich nicht viel zu erzählen. Er ist halt klein, sieht absolut harmlos aus, sucht seine Mutti und... kann zaubern. Dass gerade dieses Milchgesicht die Macht besitzen soll, die Welt zu retten, ist auch im Laufe des Spiels irgendwie schwer zu glauben. Mr. Drippy, das kleine kniehohe Pummelchen mit den kurzen Beinen und der Laterne in der Nase, und auch Olivers Verbündete wirken irgendwie allesamt kompetenter als er.

Aber gut. Er reist also in diese andere Welt, die – das kann man nicht anders sagen – wirklich sehr liebevoll gestaltet ist. Allein die World-Map, auf der man sich bewegt, ist schon ein echter Hingucker mit kräftigen Farben, kleinen Wäldchen, Hügelchen, Flüsschen und Blümchen am Wegesrand, und die Städte sind so schön gezeichnet, dass man zeitweise den Eindruck gewinnt, man würde sich tatsächlich in einem Zeichentrickfilm bewegen. Auch die Monster, auf die der Spieler im Laufe der Zeit trifft, sind putzig anzusehen und einfallsreich gestaltet, und zumindest so lange unterhaltsam, bis einem von den anfangs noch so genial absonderlichen Gestalten ständig deren Feuer-, Wasser-, Blitz-Weiterentwicklungen über den Weg laufen. Es gibt auch immer mal wieder ganz neue Monster, klar; aber irgendwann konnte ich mich an deren Anblick nicht mehr wirklich erfreuen, was wiederum dem, meinem Empfinden nach, zwar anspruchsvollem, aber dann doch irgendwie unspektakulärem Kampfsystem geschuldet ist. Denn wo Monster rumlaufen, muss man ja kämpfen. Ständig eigentlich. Um zu leveln. Um Quests abzuarbeiten. Um in der Story voran zu kommen, weil die Endgegner nicht zu besiegen sind, wenn man einfach nur durch die Geschichte preschen möchte.

Immerhin laufen Gegner, die so schwach sind, dass man sie mit einem Schlag erledigen kann, vor einem weg, sodass man nicht ständig auf seinem Weg durch die Wallapampa durch sinnlose Kämpfe unterbrochen wird. Aber wenn sie den Kampf mit einem aufnehmen können, laufen sie auf einen zu – und dann geht’s rund in einer Mischung aus Echtzeitkampf und rundenbasiertem Kampfsystem.

Entweder man lässt Oliver selbst kämpfen oder seinen breitmauligen, selbstbenannten Familiar ("Quarki"), den er zu Beginn des Spiels an die Seite gestellt bekommt. Sowohl Oliver als auch Quarki können entweder stumpf auf ihre Gegner einschlagen, sie blocken, wenn sie beginnen, sich in einen bedrohlichen Regenbogenstrudel zu hüllen, oder Magieangriffe starten. Magieangriffe kosten allerdings Magiepunkt, die sich Besitzer und Familiar miteinander teilen, genauso wie die Lebenspunkte. Da MP auch fürs Heilen und später für die Überwindung weitläufiger Dungeons notwendig sind, muss man schon manchmal genau überlegen, was man tun möchte.

So sieht es aus, wenn man bei Ni No Kuni kämpft: Mit den Sprechblasen können die Attacken, oben links die Familiars oder die Charaktere ausgetauscht werden.

Im Laufe des Spiels bekommt Oliver weitere Verbündete an die Seite gestellt, zwischen denen ebenfalls gewechselt werden kann. Unter anderem den etwas heruntergekommenen Swaine, wohl der interessanteste Charakter des Spiels, und die blonde Esther, die zwar ein gutes Herz hat, aber für meinen Geschmack dann doch etwas zu girly und zu langsam im Denken ist, um mir wirklich zu gefallen. Aber immerhin kann sie gut mit Tieren, und deshalb ist sie auch diejenige, die mit Hilfe eines Pokeba - - - ihrer wohlklingenden Harfe weitere Monster zähmen kann, von denen dann jeder der drei Kämpfer drei als Familiars einsetzen kann. Sammelt Esther mehr als neun, landet der Überschuss im Familiar Retreat. Das sind blaue Gullis, die sich überall am Wegesrand befinden, an denen man Familiars abladen oder einwechseln kann.

Natürlich leveln auch die Familiars, weshalb die meisten Monster, die bei mir während des Spiels gezähmt worden sind, bis in alle Ewigkeiten im Familiar Retreat verschimmeln werden. Zumal da man die alteingesessenen Begleiter ab einem bestimmten Level metamorphen kann, sodass sie mehr Fähigkeiten erlernen und im Kampf benutzen können. Allerdings sind sie dann wieder Level 1 und haben plötzlich nur noch die Hälfte der Kraft, die sie zuvor besessen haben. Versteh das einer. Aber immerhin hat der Spieler mit den zahllosen Viechern, die ihm über den Weg laufen, eine weitere Beschäftigung: Sammeln.

Sammeln muss man auch die so genannten Merit Stamps. Bei Ni No Kuni gibt es nämlich Stempelkarten, die eigentlich genau so aufgemacht sind wie die Rabattkarte beim Dönermann um die Ecke – nur dass man den 10. Stempel nicht gratis dazu bekommt, sondern die vollen Stempelkarten gegen Fähigkeiten eintauschen kann. Für schnelleres Laufen zum Beispiel. Oder zum Springen. Die Merit Stamps bekommt man, indem man Quests erfüllt. Und deshalb gibt es auch kein Wirkliches Drumrum.

Und die Quests sind sooo langweilig. Mir fällt einfach kein Wort ein, das es besser treffen würde. Ich hatte ja schon erwähnt, dass Shadar Herzen stiehlt, aber nicht komplett, sondern stückweise. Er stiehlt den Leuten ihre Freundlichkeit, ihren Enthusiasmus, ihren Glauben. Und Olivers Aufgabe ist es, den armen Seelen, denen ein Stück ihres Herzens gestohlen wurde, dieses wieder zurückzugeben. Dafür gibt es zwei Zaubersprüche: "Take Heart" und "Give Heart". Personen, die zuviel einer positiven Eigenschaft in sich tragen, leuchten auf der Karte grün und geben einem gerne ein bisschen was davon ab; die anderen blinken blau und bekommen dann das fehlende Puzzleteil mit dem "Give Heart" Spruch wieder eingepflanzt. Und das sind schon 75% der Missionen, die im Laufe des Spiels zu erledigen sind. Und zum Teil – so dumm! Da steht ein kleines Katzenkind in der Stadt und beschwert sich, dass sie Hausaufgaben machen muss und keine Lust auf Schule hat. Klarer Fall!!! Herz gebrochen!!! Müssen wir schnell Euphorie holen!!! Oder die frustrierte Ehefrau, die plötzlich keine Lust mehr hat, nur den ganzen Tag Wäsche zu machen, zu kochen und die Wohnung zu putzen. Das kann doch nur bedeuten, dass Shadar sie bestohlen und dass sie nun ein gebrochenes Herz hat! Ich fühlte mich spontan ans 19. Jahrhundert erinnert, als Frauen unterstellt wurde, unter einer Krankheit namens Hysterie zu leiden, wenn sie mal keine Lust mehr hatten, Heimchen am Herd zu sein und ihren Männern die Füße zu küssen...

Anstatt ständig selbst zu kämpfen, kann man seine Familiars ins Rennen schicken.

Ni No Kuni patologisiert sowohl jede kleine Stimmungsschwankung als auch die wirklichen Probleme der Menschen. Auf der anderen Seite erfährt die junge Frau, die seit zwei Jahren (!) von ihrem Mann nichts mehr gesehen oder gehört hat und immer noch fest daran glaubt, dass er wieder kommt, großes Lob für ihren unerschütterlichen Glauben. Und auch der Arbeiter in Hamelin, der seinem Kumpel seinen Job überlässt, dadurch aber selbst arbeitslos wird, wird für seine Nettigkeit respektiert. Das ist ja alles niedlich überlegt; aber für mich, gerade im Zuge meines mittlerweile aufgekommenen Ni-No-Kuni-Frustes, hätten die beiden ja eher selbst das Bedürfnis nach etwas Realismus oder Intelligenz. Aber gut; dann wäre es vielleicht nicht mehr ganz so kindgerecht und jeder Quest würde am Ende genauso ein niederschmetterndes Ende nehmen wie die Nebengeschichten bei Nier.

Weitere Quests sind dann so was wie: Sammle Blume, Stein, Zeug; finde das Reisetagebuch von Dr. Sowieso (der es in jeder verdammten Stadt wieder verloren hat!) oder finde die drei Kinder, die drei Tauben, erledige drei Gerippe... Jedenfalls nichts, was wirklich zur Story beitragen würde. Man weiß: Shadar ist unterwegs, die Welt geht zugrunde, aber abgesehen von ein paar verstimmten Leuten deutet eigentlich nichts darauf hin, dass es der Welt wirklich schlecht geht. Die Vögel zwitschern immer noch, die Musik ist weiterhin fröhlich – je nachdem natürlich, wo man sich bewegt. Aber so richtig bedrohlich ist die Stimmung eigentlich nicht. Nö.

Das liegt auch daran, dass die bösen Gegenspieler – Shadar und die weiße Königin, die ihn befehligt – irgendwie nicht wirklich was unternehmen. Die gucken sich das ein bisschen an, dass der kleine Oliver da so rumläuft, finden das auch doof, aber dass ihn jetzt mal einer richtig plätten würde – nö. Nööö, da verstecken sie lieber einen Zauberstab, auf dessen Suche er ist. Er findet ihn dann trotzdem, weil er in die Vergangenheit reist, aber anstatt ihm das Ding wegzunehmen und einmal schön in der Mitte durchzubrechen, bevor er damit etwas anstellen kann, heißt es nur: "Ach, komm, zu dem Zauberstab gehören noch drei magische Steine, die findet der bestimmt eh nicht."

Und bei diesem letzten Satz ahnt ihr schon: Leider sind auch die storyrelevanten Quests nicht viel spannender als die Sidequests. Hier das gleiche Spiel: Finde drei Steine, besuche vier Magier, flicke zehn Herzen, wobei für letzteres ab und zu per Gateway noch mal nach Motorville, Olivers Heimatstadt, zurückgeswitcht wird, weil die Lösung für das Problem im Soulmate des Kranken liegt. Und ansonsten? Bosse, Bosse, Bosse und hin und wieder mal ein Rätsel – der erste Tempel war da wirklich mal eine schöne Abwechslung!

So schön kann In-Game aussehen. Ghibli hat zeichnerisch ganze Arbeit geleistet.

Vor allem die Endbosse hemmen einen sehr darin, die Story, die ohnehin so zäh dahinfließt, mal etwas schneller ins Rollen zu bringen, denn um diese besiegen zu können, muss man seine Familiars schon ordentlich leveln – zumindest, wenn man auf normaler Schwierigkeit spielt. Und das immer, IMMER mit derselben Kampfmusik. Das ist überhaupt etwas, was ich einfach nicht verstehe. Da engagiert Ghibli seinen Hofkomponisten Joe Hisaishi für die Musik, einen echten Könner, den Gott des Animesoundtracks – und dann gibt es im gesamten Spiel so wenig musikalische Abwechslung. Städte, Landschaften, Dungeons – immer mal wieder teilen sie sich dieselben Melodien. Aber die Kampfmusik ist das Schlimmste. Nach 1000 Kämpfen verkrampft sich meine Ohrmuschel schon beim ersten Ton.

Seufz. Ich denke... ja, ich denke vielleicht bin ich tatsächlich zu alt für Ni No Kuni. Ich konnte mich am Anfang noch sehr an der unermesslichen Niedlichkeit des Spiels erfreuen, vor allem an den unterschiedlichen Einwohnern, die mal wie Katzen, mal wie Krähen oder mal wie weiße Riesenknuffis aussehen und bei denen selbst der Sprachstil ihrem Äußeren angepasst ist ("Purrriceless!") und die englische Synchro ist wirklich sehr gelungen. Ich hatte lange Zeit Spaß daran, meine kleinen Familiars mit Süßigkeiten vollzustopfen, um ihre Fähigkeiten zu verbessern, daran in meinem Kesselchen Dinge zu craften, Monster zu zähmen, auf Bounty Hunts zu gehen und Stempelchen für meine Merit Cards zu sammeln. Ich hatte Spaß an den Dialogen und sogar Spaß daran, dem vergesslichen Dr. Sowieso zwei Mal sein Reisetagebuch zurückzubringen. Und das Zauberbuch, das man mit sich herum trägt und das sich im Laufe der Zeit mit immer mehr wirklich tollen Märchen, Zaubersprüchen und Landkarten füllt, ist wirklich beeindruckend! Aber irgendwann war es mir einfach nicht mehr genug, die Story schlich so vor sich hin, und so hörte ich ungefähr nach 2/3 des Spiels auf, selbst den Controller in die Hand zu nehmen. Jetzt lasse ich mir nur noch erzählen, was denn storymäßig so passiert. Und mache nebenbei… ja… irgendetwas Spannenderes. Quis

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