Full Pipe

(Artikel)
Kristin Riedelsberger, 07. März 2013

Full Pipe

Bizarres Rätselvergnügen ohne Worte

Stell dir vor, du schlummertest ganz seelenfriedlich in deinem Bettchen und plötzlich stiehlt dir eine überdimensionale Hand einen deiner hübschen, blauen Pantoffeln. Du wachst auf, streckst dich, willst wie gewohnt in deine Hausschuhe schlüpfen und – Pustekuchen! – deine rechten Zehen tasten ins Leere. Unerhört! Natürlich würde jeder erst einmal unter dem Bett nachschauen, klar. Aber dass man dabei in ein dunkles Loch stürzt und in einem riesigen Rohrlabyrinth mit allerhand seltsamen Gestalten landet, das ist bislang wohl nur Dude aus Pipe Studios Rätsel-Adventure Full Pipe passiert.

Man muss dazu sagen, dass Dudes Auftreten selbst auch nicht gerade das Alltäglichste ist: Er sieht aus wie ein bebrillter Humpty Dumpty mit einem schneckenartigen Gewurbel am Rücken und trägt ein hellblaues Röckchen. Deswegen ist er von den fantastischen Gesellen, die sich in Full Pipe tummeln, eher mäßig fasziniert. Aber für den Spieler sind sie ein echter Augenschmaus: Da gibt es zum Beispiel ein großnasiges Bobbelwesen, dass zwar keine Arme, dafür aber eine Schublade im Bauch hat, in die Dude Dinge legen kann! Oder känguruartige Beuteltiere, denen dicke, fette Bälle in die Bauchtasche geworfen werden müssen, damit sie zufrieden das Feld räumen und den Weg zum unterirdischen Fahrstuhl freigeben. Oder ein garstiges, blaues Langohr, das aus einer hoch liegenden Luke linst und eine friedlich vor sich hin mahlende Krummnase mit einem geräuschvollen "Pfew!" bespuckt, sodass dieser hin und wieder verzweifelt versucht, die Luke zu schließen.

"Pfew"s, "Hmm"s, "Grmbml"s, "M-mhm"s und ähnliche Beispiele sehr spärlicher auditiver Kommunikation sind neben Nicken oder Kopfschütteln auch schon die einzigen Dialoge, die der Spieler zu erwarten hat, denn Full Pipe kommt ganz ohne Worte aus und ist damit sogar noch ein bisschen stummer als das ebenfalls von Daedalic gepublishte Machinarium, das viel Story über Bilder vermittelte. Aber wenn man ganz ehrlich ist: so wirklich Story hat Full Pipe ja auch nicht. Der Pantoffel wird Gott sei Dank gleich nach Ankunft im unterirdischen Rohrsystem wiedergefunden. Ab jetzt geht es also nur noch darum, an die Oberfläche zurück zu gelangen, und den Weg nach oben findet man nicht durch stundenlanges Gequatsche, sondern durch das Lösen sehr kniffliger, einfallsreicher Rätsel.

Wie in jedem Adventure findet man auch in Full Pipe immer mal wieder Gegenstände, die einen Nutzen haben. Allerdings entfällt das wahllose Kombinieren von Inventarobjekten, denn um aus einem Gegenstand etwas anderes zu machen oder ihn einzutauschen, braucht Dude stets die Hilfe seiner sonderbaren Kameraden: Der eine verpuppt einen Gegenstand in einem Ball, der nächste befreit ihn mit einem gezielten Stirnschmetterer wieder aus seinem Kokon, der dritte verschlingt einen Gegenstand, um einen anderen im Tausch wieder auszuwürgen und so weiter. Ganz nach dem Prinzip "Eine Hand wäscht die andere" hilft Dude allen, denen er begegnet, und macht sie sich so zu Freunden, deren Hilfe er im Laufe des Spiels selbst immer wieder in Anspruch nehmen kann und muss, wenn er die Rätsel der späteren Level (bei Full Pipe erkämpft er sich immer wieder einen neuen Fahrstuhl-Etagen-Knopf) lösen möchte.

Schubladenbauch!

Abgesehen vom Eintauschen oder Verändern von Gegenständen gibt es auch Mini-Spiele, bei denen es darauf ankommt, zur richtigen Zeit die linke oder rechte Maustaste zu drücken: Um seinem unterirdischen Gefängnis zu entkommen, muss Dude schaukeln, springen, etwas zur richtigen Zeit fallen lassen oder werfen. Diese Aufgaben sind immer recht gut zu lösen, wenn man denn erst einmal herausgefunden hat, dass man jetzt wirklich die armen kleinen niedlichen Racker, die sich auf dem Bildschirm von links nach rechts bewegen, in ein monströses Einmachglas katapultieren soll... Ja, die Rätsel sind manchmal wirklich sehr absurd, einfach weil die Umgebung, in der man sich bewegt, schon so voller Absurditäten ist. Aber letztendlich machen alle Lösungswege Sinn und auch wenn ich zu Beginn des Spiels noch vollends verwirrt war, bekommt man langsam ein Gefühl für diese bizarre Welt aus Rohren, Kuriositäten und die Möglichkeiten, die sich bieten.

So... Und jetzt müssen die hängenden... Ratten...dinger nur noch so in Schwingung versetzt werden, so dass das dicke... Tütü-Ding die lila Bobbelblase essen kann!

Das Netz an Räumen wird immer dichter und so ist es manchmal gar nicht so einfach, den Überblick zu behalten. Deswegen und weil bei Full Pipe zwei Querdenker wirklich besser sind als einer, ist es meiner Meinung nach neben Machinarium eines der wenigen Adventures, bei denen es sich wirklich lohnt, gemeinsam vor dem Rechner zu sitzen. Ganz abgesehen davon, dass es gemeinsam einfach viel mehr Spaß macht, die Geheimnisse einer Welt zu erkunden, die so ganz anders ist, wie die unsere - ach ja, und den klasse Soundtrack zu genießen.

Nein, Full Pipe hat keine Wahnsinns-Story und keine schlauen oder lustigen Dialoge, aber es überzeugt trotzdem: mit Witz, Kreativität, Intelligenz, Atmosphäre und einer riesigen Portion Außergewöhnlichkeit. Quis

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20. April 2024 um 15:57 Uhr
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27. Juli 2010
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