Setzt die Sonnenbrillen auf und haltet euch gut fest - mit diesem Spiel feuert euer Bildschirm die heißesten Photonen diesseits des Äquators ab. Grafikpenis 3 ist das neueste Protz-Erzeugnis der deutschen Videospiel-Schmiede Crytek. Dass dieses Teil scharf aussieht und die feuchten Träume aller Grafikhuren mit einem kurzen Zwisch in neue Aggregatzustände bringt, ist längst bekannt. Schleift die Bombast-Optik von Crysis 3 das Gameplay müde hinterher oder hat Crytek den nötigen Wumms auch hinter dem Spieldesign?


Crysis 3 finalisiert Cryteks Trilogie mit einem Showdown zwischen der Alien-Rasse Ceph und dem ex-menschlichen Supersoldaten Prophet. Das zukünftige New York der Sci-Fi-Geschichte ist nach den Ereignissen des Vorgängers nicht nur in Schutt und Asche gelegt, sondern zu einer tropischen Dschungellandschaft geworden. Einstmalige Wolkenkratzer sind verlassen und erinnern nur noch als Ruine an eine frühere Welt. Die paramilitärische Organisation CELL, die auch den Nanosuit entwickelt hat, welcher Prophet mit übermenschlichen Kräften versorgt, hat sich die Herrschaft über diese Welt unter den Nagel gerissen. Prophet schläft einen unfreiwilligen Schlaf in Gefangenschaft, bis er schließlich von Rebellen befreit wird und den Kampf nicht nur gegen CELL, sondern auch gegen die schlummernde Ceph-Bedrohung wieder aufnimmt.

Dass ich die Geschichte so gut wiedergeben kann, zeugt davon, dass sie dieses Mal gut erzählt wird. Im Recap der Vorgeschichte habe ich vermutlich sogar mehr mitbekommen als beim Spielen von Crysis 2. Die deutsche Synchronsprecher-Garde lässt ihre Muskeln mit bekannten Stimmen spielen - da es nicht viele Figuren gibt, konnte man sich offenbar für jede davon einen teuren Sprecher leisten. Leider ist die Sprachausgabe nicht lippensynchron.

In sieben Kapiteln wird der Spieler vom Nebenhelden Psycho begleitet, der im Dialog für den Humor und wichtige Informationen verantwortlich ist. Viele Sprüche sind dick mit Käse belegt, aber bei einem Action-Spiel sollte das keinesfalls unter den Erwartungen liegen. Crysis 3 gibt sich große Mühe dabei, den Figuren eine Identität zu geben und hat trotz zeitweiliger Plumpheit letztlich Erfolg damit. Psycho, der vorher ebenfalls einen Nanosuit trug, kämpft hart mit seinem Frust über den Verlust seiner Kräfte, während er durch Prophet ständig mit dieser Macht konfrontiert wird. Prophet selbst kommt als stoischer, beinahe mechanischer Soldat daher. Seine Ruhe wird durch Visionen vom Ende der Welt jedoch zerrüttet. Wie ein Captain Ahab der Zukunft jagt er der Silhouette des Alpha-Ceph hinterher - dem mächtigsten und gefährlichsten aller Aliens. Leider glaubt niemand außer ihm an seine Existenz. Entsprechend reagieren auch die Rebellen auf Prophet: alle halten ihn für verrückt und entmenschlicht, sind aber gleichzeitig auf ihn angewiesen.


Die Kampagne des dritten Teils ist kürzer als die des Vorgängers, bringt mit seinem straffen Ablauf das Gameplay aber perfekt auf den Punkt. Dem Leveldesign gebührt hier besonderes Lob: ähnlich wie bei Batman: Arkham oder Deus Ex: Human Revolution bestehen die wesentlichen Abschnitte der Levels aus großen Arealen. Auch wenn das Spiel vom Prinzip her völlig linear ist, wurden einzelne Räume mit vielen Freiheiten konzipiert. Oft gibt es verschiedene Wege (Straßen, Dächer, Kanalisation) und damit auch verschiedene Möglichkeiten zu Spielen. Auch wenn die zahlreichen Waffen und ihre modifizierbaren Aufsätze die Shooter-Qualitäten hervorkehren, findet man in Crysis 3 wahlweise ein großartiges Stealth-Spiel. Tarnung gab es schon in den Vorgängern, aber nun bekommt der Spieler auch die richtige Waffe dazu. Bei Schießeisen muss der Spieler zum Feuern den Tarnmodus verlassen - aber nicht mit dem Bogen. Das neue Spielzeug tötet völlig lautlos und zwingt den Spieler nicht aus der Camouflage. Mit diesem kleinen Tool ist eine völlig andere Art zu spielen möglich geworden. Pfeile sind rar, können aber von erlegten Feinden wieder aufgenommen werden.

Will man den Rambo schön im Dorf lassen, lohnt es sich auch, mit dem Fernglas die Umgebung zu erkunden. Auf diese Weise können Feinde markiert und gegnerische Turrets gehackt und auf die eigene Seite gebracht werden. So verschafft man sich - frei nach Sun Tzu - durch Planung bereits einen großen Vorteil, bevor der Kampf überhaupt los geht. Erfreulich sind auch die Kommentare der CELL-Soldaten: "Deine Tarnung nützt dir gar nichts!" (rufen sie in die entgegengesetzte Richtung, während ich ins nächste Areal husche) oder "Gegen dich bestehe ich auch ohne einen Nanosuit" (zum Thema berühmte letzte Worte) und vieles mehr. Gut platzierte Sprengstoffe oder flüchtig angeschossene Fässer haben ihren üblichen Charme. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die ersten Levels mit dem Bogen ein absolutes Stealth-Fest waren und an diesem Tag nicht eine einzige Patrone abgefeuert wurde. Gute Stunde.

Hat man die Kampagne nach knapp 8 Stunden Spielzeit gemeistert, bietet der Mehrspieler-Modus den größten Wiederspielwert. Wie üblich sammelt man Punkte für Kills und andere Aktionen, levelt auf und erspielt sich nach und nach mehr Equipment, das man in eigenen Loadouts frei kombinieren kann. Eine simple Tatsache hebt Crysis aber von Call of Duty und anderen Shootern ab: hier ist jeder Superman. Hohe Sprünge, Panzerung, Thermal-Sicht und natürlich Unsichtbarkeit. Egal in welchen Modus ihr euch wagt, alle Spieler haben jederzeit die Möglichkeit, sich zu tarnen. Oder aus größer Höhe mit einem Stampfer einen Triple-Kill zu landen. Wer es dabei gern taktischer mag als rot gegen blau, kann auf zahlreiche Modi zurückgreifen. Insbesondere die Modi Spears und Crashsite lassen das Spiel glänzen. Hierbei geht es darum, einen oder mehrere Orte auf der Karte zu halten und so Punkte zu sammeln. Dabei gibt es besonders interessante Spielmöglichkeiten für unterschiedliche Teammitglieder. Einige Spieler müssen sich offensiv ins Feuer werfen, um einen Punkt einzunehmen, andere lauern in den Baumwipfeln oder auf den Dächern, um die Feinde ungesehen wegzupflücken, während die versuchen, einen Punkt zu stürmen. Von hinten gegängelt zu werden ist hier ganz normal. Die Kerle in den Baumwipfeln können Feinde übrigens auch spotten und so lauernde Fieslinge auch für seine Teamkameraden offenlegen. In solchen Versus-Matches liegt die große Stärke des Spiels - gerade für dieses Erlebnis wird man auch in Zukunft noch zurückkehren.


Leider ist nicht alles Gold, was glänzt. Selbst ein hochpolierter Titel wie Crysis 3, der rund das Dreifache an Budget schluckte wie sein Vorgänger, kommt mit Mängeln. Bei dem guten Leveldesign ist vor allem schade, dass die Feinde wenig abwechslungsreich sind und die KI völlig überfordert mit der Situation ist. Soldaten laufen gegen Wände, sprengen sich selbst mit Granaten und hocken verängstigt in Ecken. Auf der anderen Seite sind sie super-aufmerksam und sehen den Spieler ziemlich rasch, wenn er ungetarnt ist. Leider auch auf unfassbar große Entfernung. Will man durch ein Level schleichen, sollte man sich wirklich nur hinter Kisten und in dunklen Ecken enttarnen.

Die Erstfassung des Spiels ist leider völlig verbugt. Totalausfall der Steuerung und verschwindende Loadouts sind schon ziemlich grobe Schnitzer. Mittlerweile wurden sie aber zu einem großen Teil (auch auf der Konsole) weggepatcht. Ein Spiel unfertig auf Disc zu pressen ist zwar schäbig, aber zumindest wurde hier schnell reagiert.

Konsolenspieler müssen sich natürlich darauf einstellen, dass grafisch nicht das eingangs erwähnte Fap-Feuerwerk zu erwarten ist, das PC-Spieler bei Crysis 3 erwartet. Für die auditiven Qualitäten gilt das aber nicht! Der Sound ist ziemlich klasse und hat bei weitem keine so nervige Menü-Musik wie Teil zwei in der Multiplayer-Lobby. Im Gegenteil gefallen mir die Stücke des Spiels ziemlich gut und sind auch als ambiente Untermalung für Nerdhaushalte zu empfehlen. Das Spiel selbst hat meine Erwartungen zwar übertroffen, schafft im Vergleich mit der Konkurrenz Call of Duty und Halo 4 aber nicht ganz den Sprung vom oberen Mittelfeld in Top-Bereiche - hierfür fehlt es an Feinschliff der KI und der nötigen Politur insgesamt. Fans der Reihe sollten den Titel auf jeden Fall spielen, da er die Story sinnvoll abschließt und auch Stealth-Freunde dürfen einen Blick riskieren. Für den übersättigten Shooter-Markt hätte Crysis 3 aber gerne noch herausstechender sein dürfen. Nex