Persona 4 Golden

(Artikel)
Haris Odobašic, 30. Januar 2013

Persona 4 Golden

Das bessere Real-Life

Manchmal, wenn ich in der Öffentlichkeit Persona 4 Golden spiele, gibt es Momente, in denen das Spiel die gesamte Bandbreite seines Humors ausspielt und mich dazu zwingt, die PS Vita für ein paar Minuten beiseite zu legen, während ich mich von meinem hysterischen Kichern beruhige. Und dann nehme ich den Handheld wieder zur Hand, drücke kurz weiter, und bin bei der nächsten Zeile wieder im selben Zustand. In solchen Momenten würde ich gerne den Leuten, die beispielsweise in der Bahn neben mir sitzen, die Konsole einfach mal in die Hand geben, damit sie sehen können, mit wie viel Charme diese Zeilen nur so strotzen und wie gut sie einfach geschrieben sind, dass man beim Lesen das Gefühl hat, die personifizierte Komik würde aus dem Bildschirm springen, um den Spieler so lange mit einer Straußenfeder an den Füßen zu kitzeln, dass er gar nicht anders kann als zu Lachen, bis es weh tut.

Aber wenn man in der Bahn sitzt und von einem halben Dutzend Menschen angestarrt wird, wie als wenn man gerade den tödlichsten Witz der Welt gehört hätte, dann will man nicht noch weiter auffallen. Ihr merkt jedoch schon: Persona 4 Golden ist ein ganz besonderes Spiel. So besonders, dass ich das Fazit gleich vorwegnehme. Denn Atlus' Neuauflage des PS2-Klassikers ist nicht nur das beste Spiel für die Vita beziehungsweise die modernen Handhelden allgemein, sondern auch eines der besten Rollenspiele aller Zeiten. Doch was genau macht Persona 4 nun so verdammt gut? Keine einfache Frage, weswegen wir am besten ganz am Anfang beginnen. In der Bahn, in der euer Abenteuer beginnt.
Der Partner eures Onkels ... und ein ziemlich fauler Nichtsnutz!

Falls euch wirklich kein Name für den Hauptcharakter einfallen solltet, dann nennt ihn Yu Narukami. Das ist auch der Name, den er im offiziellen Anime erhalten hat.
Ihr schlüpft in die Haut eines namenlosen Schülers, der von seinen Eltern in die japanische Provinz abgeschoben wird. Denn während diese wegen der Arbeit ins Ausland reisen müssen, landet ihr stattdessen im beschaulichen Inaba bei eurem Onkel Dojima, einem vielbeschäftigten Polizeikomissar. Dabei ist Inaba so ziemlich der langweiligste Ort, den man sich vorstellen könnte, ein Städtchen in dem echt nichts passiert -- bis kurz nach eurer Ankunft ein Mord stattfindet, bei der der tote Körper perverserweise auch noch auf einer Stromleitung aufgehängt wird. Und während euer Onkel versucht, hinter das Geheimnis zu kommen, werdet ihr auch in die Mordgeschichte hineingezogen, weil eure Freunde zum Ziel des Mörders werden.

Doch denkt nicht, dass ihr wegen ein paar Morden plötzlich den Rest sausen lassen könnt. Also müsst ihr nicht nur Detektiv spielen, sondern sollt die Schultag hinter euch bringen und euch um euren Freundeskreis kümmern. Ihr könnt also schon erahnen, dass bei Persona nicht nur gekämpft wird. Stattdessen hat das Spiel auch viele Anleihen an Dating Sims oder Visual Novels und selbst das aus Social Games bekannte Zeit-Management wird euch hier abverlangt. Was auf den ersten Blick nach sehr viel klingt, ist gleichzeitig aber so verpackt, dass Persona 4 wohl das einzige JRPG ist, das ich einem Genrehasser zur Umstimmung empfehlen würde. Denn Persona 4 mag auf den ersten Blick wie ein typisch japanisches Produkt daherkommen, immerhin hat es jugendliche Protagonisten, die besondere Fähigkeiten haben und bietet viel Slice of Life. Doch was das Spiel auszeichnet ist, dass es sich traut viele erwachsenere Themen anzusprechen, wie beispielsweise Homosexualität/Transsexualität, das Aufwachsen als Kind in schweren Verhältnissen und nicht zuletzt das zentrale Thema, die dunkle Seite in jedem von uns -- unsere geheimsten Wünsche und Ängste --, und diese mit viel Respekt behandelt. So gut habe ich solche Thematiken noch von keinem Spiel erforscht gesehen. Das führt dazu, dass Persona 4 jegliche Fallen, wo man sonst ein JRPG-Klischee erwarten würde, geschickt umkurvt und stattdessen den Anspruch hat, auch erwachsenere Spieler, die mitdenken, genauso sehr unterhalten zu können wie die, die sich nur an der hohen Qualität der Erzählung ergötzen und den großartigen Humor genießen möchten.

Daher liegt auch ein starker Fokus auf den Beziehungen zwischen euch und den anderen Charakteren. Dieser ist so groß, dass er zentrales Spielelement wird. Ihr könnt eure Zeit nämlich mit euren Freunden verbringen. Insgesamt warten weit mehr als ein Dutzend Charaktere auf euch, um sie näher kennenzulernen und die sogenannten Social Links zu formen. Diese wiederum repräsentieren nicht nur, wie stark eure Freundschaft zu diesem Charakter ist, sondern geben euch auch Boni auf das Fusionieren von Persona -- Dämonen, die in eurem Innersten schlummern und euch im Kampf unterstützen. Für die große Qualität spricht hier, dass diese Social Links selbst ohne die Boni ihre Daseinsberechtigung hätten, weil jeder der damit verbundenen Charaktere gut geschrieben ist und man sie deswegen sowieso kennenlernen und mehr über ihre Probleme und Sorgen erfahren will. In kaum einem Spiel fühlen sich selbst sekundäre Charaktere so lebendig an.

Doch wer nun denkt, dass das Spiel womöglich zu stark auf der Visual-Novel-Schiene fährt, kann beruhigt werden. Das Dungeon Crawling kommt nicht nur nicht zu kurz, sondern ist zudem exzellent gestaltet. In regelmäßigen Abständen müsst ihr euch in die Welt hinter den Fernsehern wagen, um die auserwählten Opfer des Mörders zu befreien. Dabei erwarten euch genial designte Dungeons, die sich thematisch an den zu rettenden Charakteren und ihrer dunklen Seite orientieren. Ein junges, entführtes Mädchen ist zum Beispiel ein Idol und hat dementsprechend einen Dungeon, der einem Strip-Club ähnelt, wo sie sich entblößen will. Das wirkt vielleicht auf den ersten Blick sehr plump, erweist sich aber bei näherer Betrachtung als erstaunlich gut durchdacht, wenn man nur versucht den Subtext dahinter zu entdecken. Denn dem Idol geht es natürlich nicht darum, ihren Körper zu entblößen, sondern mit der eigenen Unsicherheit zu kämpfen, die dadurch entstanden ist, dass sie ständig diese Rolle der Medienfigur spielen muss, bis hin zu dem Punkt, dass sie nicht mehr weiß, ob die Menschen sie selbst mögen oder nur das Idol, was sie in der Öffentlichkeit verkörpert.
Verheerende Teamattacken werden mit dieser Totenschädelwolke quittiert.

Kommen wir zurück zu den Personas, denn diese sind essentiell, um in den Dungeons zu bestehen. Hier nimmt das Spiel schon fast Pokémon-esque Züge an, weil ihr nach Kämpfen die Möglichkeit bekommt, Personas zu erhalten. Diese leveln seperat vom Hauptcharakter, erlernen besondere Fähigkeiten und können schlussendlich fusioniert werden, um noch stärkere Personas zu erschaffen. Dieser Spielabschnitt hat dabei besonders viel Tiefe, weil jede Persona individuelle Schwächen hat. Manche sind beispielsweise stark gegen Feuer, aber schwach gegen Eis. Andere lachen bei Magie nur, kassieren aber dafür multiplen Schaden bei physischen Angriffen. Das gleiche Prinzip gilt auch für eure Gegner, weswegen es wichtig ist, die richtigen Personas dabeizuhaben, um möglichst viele Schwachpunkte der Feinde abzudecken, gleichzeitig aber selbst möglichst schwer verwundbar zu sein. Mit fast 200 unterschiedlichen Personas gibt es hier viel zu entdecken und durch die Möglichkeit, bei Fusionierungen bestehende Skills zu vererben, kann man sich sicher sein, dass jeder Spieler am Ende eine ganz individuelle Persona-Sammlung haben wird.
Void Quest, ein Dungeon im 8-Bit-Stil. Ein echtes Highlight!

Jedes einzelne dieser Elemente hätte für sich schon ein ziemlich gutes Spiel ergeben. Aber in Persona 4 Golden werden diese Konzepte nicht nur annäherend zur Perfektion umgesetzt, sondern sie passen auch wie die Faust aufs Auge. Als ich am Ende angekommen war, war ich deswegen nicht nur glücklich, so ein großartiges Spiel gespielt zu haben, sondern es erfasste mich eine Trauer, die mit nichts vergleichbar ist, was ich bisher wegen eines Spiels gefühlt habe. Keine Trauer wegen eines Charaktertodes oder der Story, sondern Abschiedskummer. In den gut 100 Spielstunden, die mir Persona 4 bot, hatte ich einfach so viel Spaß gehabt, dass der Gedanke, dass es nun vorbei wäre, mich richtig geschockt hat. Und das wollte ich nicht. Die geknüpften Bände mit den verschiedenen Figuren, das im Spiel Erlebte, das alles nun plötzlich vorbei wäre, ließ mich etwas emotional erschöpft zurück. Was wohl auch daran lag, dass mir Persona 4 Golden ein Gefühl beschert hatte, dass ich zum letzten Mal in frühester Kindheit gespürt hatte. Ihr kennt es sicher auch, wenn ihr als Kind euch wünschtet, nach dem Schauen eines Cartoons oder Spielen eines Spiel selber in diese Welt eintauchen zu können und diese großartigen Abenteuer zu erleben. Persona 4 Golden brachte mir dieses Gefühl zurück und ich wünschte mir echt stellenweise, mit dem namenlosen Protagonisten tauschen zu können.
Noch immer weiß ich nicht, ob ich ein New Game+ anfangen soll, denn zwar warten weitere Enden darauf, entdeckt zu werden, aber gleichzeitig will ich die Erlebnisse in Inaba nicht herabstufen, indem ich sie zu etwas Wiederholbarem degradiere. Denn für mich waren sie einzigartig.
Gartenanbau ist nur eine von dutzenden Aktivitäten, denen ihr nachgehen könnt.

Doch Persona 4 Golden ist nicht nur für sich selbst gesehen so gut, auch im Kontext der anderen Persona-Spiele lässt sich hier eine Evolution erkennen, die man bei einer Neuauflage nicht wirklich erwarten würde. So adressiert P4G geschickt die Kritikpunkte des Vorgängers, der schon eine hohe Qualität bot, und verbessert reihum viele der Kleinigkeiten, die sich im Verlaufe der Spielzeit als störend hätten erweisen können. In Dungeons beispielsweise kann man nun ganz schnell zum nächsten Stockwerk springen, wenn man die dazugehörige Treppe entdeckt hat, was verhindert, dass ihr unnötig backtracken müsst, nur weil ihr die ganze Karte aufdecken wollt.

Doch auch im Vergleich zur PS2-Version gibt es viel Neues zu entdecken. Es ist ja nicht so, wie als wenn Persona 4 nicht schon vollkommen vollgestopft wäre mit Inhalt, aber Golden setzt dem noch mal die Krone auf. Noch mehr Social Links und Personas, die Möglichkeit mit einem Scooter neue Gebiete zu entdecken, ein zusätzlicher, vollwertiger Dungeon – der neue Inhalt bringt gut und gerne 5 - 10 Zusatzstunden Spielzeit, ganz zu schweigen von subtilen Änderungen am Kampfsystem. Wer sich wirklich in der Welt von Persona verliert, muss sich deswegen überhaupt nicht wundern, wenn nach einem Monat die gespielt Zeit am besten in ganzen Tagen gemessen wird und durch die neuen Inhalte lohnt es sich selbst für die Spieler, die das Spiel vor fünf Jahren in die PS2 gelegt haben, erneut nach Inaba zu reisen.
Die Kleinstadt Okina ist eines der neuen Gebiete.

Die Möglichkeiten der Vita werden darüber hinaus auch genutzt, wenn auch eher stiefmütterlich. So könnt ihr, wenn ihr mit dem Internet verbunden seid, in einem Dungeon einen SOS-Ruf abschicken, der anderen Spielern angezeigt wird. Diese haben dann die Möglichkeit euch Unterstützung zu schicken, was sich so darstellt, dass ihr im nächsten Kampf einen kleinen HP/SP-Bonus kriegt. Nett, aber nicht viel mehr als eine Spielerei.
Nützlicher ist die Option, sich in vielen Situationen anzuzeigen lassen, was andere Spieler gemacht haben. Wenn ihr also mal einen Tag nicht wisst, was ihr mit der Zeit anfangen sollt, kann euch das auf neue Ideen bringen, wenn nicht sogar das ein oder andere Geheimnisse offenbaren, auf das ihr sonst vielleicht nicht gekommen wärt. Am besten ist aber die große Menge an Bonusinhalten, die ihr nach und nach freischaltet. Das reicht vom freien Abspielen des Soundtracks über Trailer, Werbespots und schließlich zusätzliche Szenen, die nur für Persona 4 Golden gemacht wurden und beispielsweise näher auf die psychologischen Aspekte hinter der Welt von Persona eingehen.

Meisterwerk ist ein Begriff, der gerne inflationär benutzt wird. Deswegen habe ich in meinen fünf Jahren auf dem DPad bisher nur zwei Spielen dieses Prädikat verliehen -- und eines davon ist mehr als 10 Jahre alt. Doch bei P4G habe ich keine Wahl, denn es ist nicht nur das beste Spiel für moderne Handhelds und eines der besten, wenn nicht sogar das beste, J-RPG überhaupt, sondern auch eines der absoluten Meisterwerke der Videospielgeschichte. Es ist erst Januar und ich kann mir trotzdem nur schwer vorstellen, wie das ein anderes Spiel dieses Jahr toppen soll. Wer am 22. Februar nicht im Laden steht (oder es sich alternativ ab dem 20. per digitalem Download holt), der hat keine Ausrede, keine Entschuldigung und verdient auch kein Mitleid. Der hat nämlich was richtig Großes verpasst und ist einfach nur selbst Schuld. Evil

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