Fifa 13

(Artikel)
Haris Odobašic, 10. Oktober 2012

Fifa 13

Wenn der Ball zweimal verspringt

Als EA im letzten Jahr die Impact Engine ins Spiel brachte, war das durchaus ein großer Schritt für alle Sportsimulationen. Mal abgesehen von gelegentlichen Darstellungsfehlern war sie eine absolute Augenweide und machte Schluss mit dem animationstechnischen Einheitsbrei. Doch nun ist ein neues Jahr in der Welt des virtuellen Sports angebrochen und das, was noch vor zwölf Monaten bahnbrechend und vollkommen frisch daherkam, gehört nun schon zum Standard. Was haben sich EA also dieses Jahr einfallen lassen, um ihre Reihe mit Fifa 13 nach vorne zu bringen?

Der erste Spielstart dürfte euch schon ein etwas ungewohntes Spielfeld präsentieren: Die in die Jahre gekommene Arena, bei der man sich 1-gegen-1 im Duell mit dem Torhüter versuchte, ist gewichen, ersetzt durch die sogenannten Skillgames. Das sind kleine Minispiele, wo es zum Beispiel darum geht Freistöße auf Zielscheiben zu knallen oder einen Dribblingparkour zu überwinden, und die euch in der Ladepause vor jedem Match präsentiert werden. Da es mehrere Schwierigkeitsgrade gibt, die man sich durch gute Leistungen in niedrigeren Stufen freischalten kann, bleiben diese Minispiele erstaunlich lange frisch, sind eine gelungene Abwechslung zwischen dem normalen Fußballgeschehen bringen euch auch noch den ein oder anderen nützlichen Trick bei.

Und auch auf dem Feld dürfte die erste, große Neuerungen ziemlich schnell auffallen. Spätestens beim ersten Versuch einen etwas suboptimalen Pass anzunehmen, dürftet ihr die First Touch Control in Aktion erleben. Denn wo man im letzten Jahr quasi Pässe über 50m schlagen konnte, die von eurem Spieler selbst im vollsten Sprint perfekt angenommen wurden, muss man dieses Jahr viel mehr darauf achten wie man zum Ball steht und sich bewegt, damit ihr auch wirklich die Kontrolle über das Leder behaltet. Verliert ihr die Kontrolle, seht ihr auch schon mal, wie der Ball mehrere Meter verspringt und ihr ihm hinterherhetzen müsst oder gar ein Gegenspieler bereitsteht, um sich der freien Kugel zu bemächtigen. Gerade in den ersten Partien ist das eine ziemlich große Umstellung, die aber spätestens in euren persönlichen Handwerkskoffer an virtuellen Fußballfähigkeiten landet, wenn ihr lernt, die Sprinttaste bei Ballannahmen loszulassen.

Wer auf den ersten Blick denkt, dass es nun um einiges schwerer wird, Tore zu erzielen, darf aber nicht vergessen, dass die gleichen Einschränkungen auch für alle Spieler auf dem Platz gelten. Es ist also keine Seltenheit, dass ein eigentlich Sicherheit versprechender Rückpass dem Innenverteidiger oder Torhüter ganz dämlich vom Fuß rutscht und sich damit aus dem Nichts neue Torgelegenheiten ergeben. Dass nun selbst solche Routineaktionen eine erhöhte Aufmerksamkeit erfordern, ist auf jeden Fall ein guter Schritt seitens EAs, bringen das Spiel aber vor allem davon weg, dass der Fußball wie Kaugummi an den Schuhen des ballführenden Spielers klebt, was nur wenig mit Realismus zu tun hat.

Das ist auch etwas, was man im Spielverlauf oft realisieren wird. In Situationen, wo man bisher noch in der Lage gewesen wäre, mit einer schnellen Drehungen den Ballbesitz zu behaupten, kann jetzt schon ein schnelles Bein des Verteidigers eure Offensivaktion beenden. Darum ist es umso wichtiger die umfangreichen Dribblingmöglichkeiten von Fifa zu nutzen. Diese sind abgestuft, angefangen bei dem ganz normalen Ballbesitz, wo man zwar am schnellsten sich mit dem Ball fortbewegen kann, die Kugel aber auch kaum geschützt ist, bis hin zu einer Einstellung, die mit den beiden Trigger-Tasten aktiviert wird, wo man den Ball -- wie bei Fifa Street -- direkt unter der Fußsohle hält und selbst auf kleinstem Raum schon fast zentimetergenau navigieren kann. Das dann natürlich auf Kosten der Bewegungsgeschwindigkeit.

Nicht nur auf dem Papier sollte dies für aufregenderes Offensivspiel sorgen, bei dem man mit Bedacht geniale Spielzüge konstruiert und sich dementsprechend freut, wenn aus einer guten Idee ein schönes Tor resultiert. Bei Fifa ist das schon fast extrem, wie das Spiel innerhalb von Sekunden von Spielspaßgranate zu Gurke mutieren kann. Denn so gut das Offensivspiel ist, so anstrengend wird es für den Spieler, wenn es darum geht das eigene Tor zu verteidigen. Trotz oder gerade wegen der Möglichkeit, per Schieberegler gewisse Spielvariabeln ganz genau anzupassen, hat man das Gefühl, dass das Balancing nicht mehr die Priorität hatte wie noch vor Einführung dieser Möglichkeit vor zwei Jahren. Und das führt dazu, dass die KI, wenn sie im Ballbesitz ist, vollkommen übermenschlich spielt.

Die Grätsche ist quasi komplett aus dem Spiel genommen, weil die Gegner immer den Sekundenbruchteil schneller sind, um noch den Ball aus dem Weg zu bugsieren. Und selbst wenn man mal trifft, lassen gerade Angriffe von hinten in die Beine den Gegner nicht mal taumeln, weil er zu weit weg ist und man ihn nicht voll erwischen kann. Geduldiges Abwarten ist in der Defensive also nicht nur eine weitere Option, sondern Pflicht. Freunde aggressiven Pressings gehen leer aus. Das Endprodukt bei Fifa repräsentiert deswegen allerhöchstens den Fußball in der spanischen La Liga halbwegs akkurat, aber Fans anderer Spielphilosophien werden sich nicht unbedingt wiederfinden.

Etwas schade ist auch, dass die KI in ihrem allgemeinen Spiel- und Positionsverhalten zwar verbessert wurde, aber noch immer ziemlich weit entfernt ist von dem Standard, der zu erwarten wäre, sowohl defensiv als auch offensiv. In der Offensive ziehe ich gerne mit einem zentralen Mittelfeldspieler nach außen, wo ich leider viel zu oft erlebe, dass mir plötzlich ein Außenstürmer im Weg steht. Denn anstelle auf meinen Spielzug damit zu reagieren, dass er einen Lauf hinter die gegenerische Defensive wagt, damit ich ihn anspielen kann, steht er nur rum und starrt mich an. Erst einige Sekunden später macht er sich schließlich auf den Weg, wo natürlich jeglicher Vorteil längst dahin ist. Was nicht heißt, dass eure Spieler sich nicht anbieten oder den ein oder anderen geschickten Laufweg haben, aber allzu oft passiert das nicht genau dann, wenn ihr es euch wünscht.

Und in der Defensive stehen die Abwehrreihen auf den ersten Blick solide und bieten eine Herausforderung, die es erst zu meistern gilt, aber auch hier offenbaren sich mit der Zeit KI-Anfälligkeiten, die immer und immer wieder auftauchen. Wird einer der Innenverteidiger bei einem Konter festgesetzt, kann es oft sein, dass euer Stürmer plötzlich quasi alleine in der Strafraummitte steht. Denn weder Mittelfeldspieler noch Außenverteidiger, die in so einer Situation normalerweise die Deckung übernehmen würden und das auch bei der Konami-Konkurrenz machen, bequemen sich dahin. Das führt zu einfachen Toren, die beim ersten Mal noch nach schönem Spielzug aussehen, aber durch die starke Häufung schnell ihren Reiz verlieren. Hier muss man auch als menschlicher Spieler oft nachjustieren, damit man sich nicht eben genau so ein Ding hinten einfängt, wenn man aggressiver spielt.

Man darf hier aber nicht vergessen zu erwähnen, dass ein sehr großer Teil dieser Kritikpunkte sich nur auf das Spiel gegen den Computer auswirkt. Wer fast ausschließlich gegen menschliche Gegner spielt, wird womöglich nur den Kopf schütteln können, weil ihm diese Probleme gar nicht aufgefallen sind. Darum ist Fifa eine um Klassen bessere Erfahrung, wenn man nicht gegen den Computer antritt.

Und damit man auch oft genug die Gelegenheit hat, sich an menschliche Konkurrenz zu wagen, gibt es natürlich reihenweise von Spielmodi, die auch online spielbar sind oder dort erst ihre wahre Stärke entfalten. Von Ultimate Team, Fußball für Trading-Card-Fans quasi, über die Virtuelle Bundesliga, in der man als Vertreter seiner Mannschaft schaut, welches der 18 Bundesliga-Teams virtuell die Nase vorne hat, bis hin zu schon fast dutzenden "normaler" Spielmodi wie Seasons, 1-gegen-1, etc. Man könnte sich schon fast erschlagen fühlen von den Möglichkeiten, die einem Fifa bietet, um seine Leidenschaft auszuleben -- natürlich nur im rein positivem Sinne.

Und dieses Thema wird auch im Rest des Spiels fortgeführt, gerade wenn es um kleinere und nebensächliche Details geht, hat EA die Nase komplett vorne. Wem danach ist, kann einstellen, was für eine Form und Elastizität das Tornetz hat, hat die Wahl aus mehreren Kommentatoren, Schiedsrichtern, schier unzähligen Stadien sowie Wetter- und Lichtbedingungen.
Und in diesem Zusammenhang extracool ist "EAs Football Club", der euch mit unzähligen freischaltbaren Kleinigkeiten anfixt und damit zwingt, noch mehr Zeit gegen den virtuellen Ball zu treten. Seien es Statboosts, neue Schuhe, Fußbälle oder Animationen fürs Feiern eines Tores bis hin zu klassischen Trikots von Clubmannschaften -- alles, was das Fußball-Fanherz begehrt, steht im Angebot und wartet nur darauf mit einer im Spiel gewinnbaren Währungen freigeschaltet zu werden.

Ein anderes Detail, dass mich persönlich großartig überrascht hat, war die Kinect-Integration. Nach der E3 für ein lustiges Gimmick abgetan, muss ich zugeben, dass Kinect bei Fifa funktioniert -- und das Spiel besser macht. Die Möglichkeit per Stimmkommandos eure Formation und Taktiken zu ändern ist gerade in der Hitze des Gefechts gern gesehen, wo man nicht unbedingt die Zeit hat sich per DPad durch ein paar Menüs zu navigieren. Man kann sogar gewisse Komplettänderungen in diesem Bereich an eine bestimmte Phrase koppeln, was ebenfalls noch etwas mehr Zeit spart.

Man muss die Entwickler auch loben, seit Jahren konsequent ein ordentliches Sprachenpaket auf die Disc zu packen. Wer bei Konami neben der deutschen Sprache nur noch mit französisch bedient wird, was ungefähr keinen Menschen in Deutschland ansprechen würde, liefert Fifa die englische Sprachausgabe mit. Und hier kann man auch konstantieren, dass mit englischer Sprache einfach mehr Atmosphäre aufkommt. Nicht nur, weil das englische Duo sich weniger wiederholt, sondern auch, dank vieler Kleinigkeiten wie dem Ansagen von Toren in zeitgleichen Begegnungen, Seitenlinienreportern oder dass nach dem Spiel im Karrieremodus noch eine Zusammenfassung aller Ergebnisse stattfindet. Hoffentlich wird hier beim deutschen Kommentatorenteam im nächsten Jahr gleichgezogen, denn das ist insgesamt schon ein massiver Unterschied.

Fifa 13 wird euch Freudentränen in die Augen schießen lassen und es wird euch an den Rande des Controllerwurfes bringen. Und auch wenn die unzähligen Einzelspielererfahrungen, Atmosphäre hin oder her, aufgrund mangelnder spielerischer Tiefe nicht so lange fesseln wie bei der Konkurrenz, verdient sich Fifa seine Brötchen im Multiplayer. Und dort entfaltete EAs Sportsimulation ihre vollste Stärke. Dort sind alle KI-Unzulänglichkeiten vergessen und dort zeigt sich, dass das diesjährige Fifa das wohl beste bisher ist und gerade mit seinen schier endlosen Zusatzinhalten geneigte Fußball-Fans für Monate fesseln wird. Evil

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