Skullgirls

(Artikel)
Rian Voß, 17. April 2012

Skullgirls

Mädchen suchen Herzen mit Fäusten

Die Ansage von Skullgirls damals war aufregend: Ein neuer 2D-Beater mit hochauflösenden Sprites, in einer bizarren Welt handelnd und erstellt mit der Unterstützung von einem Turnierveteranen, der ein festes Augenmaß für das Genre und dessen viele kleinen unsichtbaren und sichtbaren Systeme hat. Also eigentlich alles, was man sich von einem modernen Ableger wünscht, nur eben über PSN und XBLA zu einem Viertel des üblichen Regalpreises. Wo schafft es Skullgirls, seine großen Kollegen wie BlazBlue und King of Fighters zu überholen und wo musste es Federn lassen?

Das erste, was man bei einem neuen Prügler ansteuert, noch bevor man sich überhaupt für solchen Kram wie Story und Welt und so einen Müll interessiert, ist natürlich in der Regel der Tutorialmodus. Während BlazBlue hier schon gute Arbeit leistet, um seine Spieler ein Gefühl für die Grundlagen zu geben, und Marvel vs Capcom 3 bei seinen überladenen Combo-Auswendiglern-Lehrgängen ziemlich versagt, macht sich Skullgirls die Mühe, auch totalen Noobs solche Begriffe wie "Cancelling" und die Wichtigkeit von Airdashes in verständlichen, schnellen Lektionen beizubringen. Wenn man die kompakten Mini-Missionen abgeschlossen hat, fühlt man sich wirklich, als hätte man tatsächlich etwas verstanden.


Die nächste Anlaufstelle ist der Trainings-Modus. Und man würde eigentlich nicht denken, dass man hier großartig etwas falsch machen könnte, ich meine... Man gibt der CPU ein paar Einstellungen wie "kriechend blocken" oder "ständig springende Angriffe ausführen", und das klappt auch alles eigentlich sehr gut, bis man bemerkt, dass eine Moveliste für alle Charaktere vollständig fehlt. Sie fehlt einfach. Man muss sich seine Moves selbst zusammenreimen oder eben, wie in vorsintflutlichen Zeiten, in die Anleitung gucken. Naja, sein digitales Äquivalent, nämlich das offizielle PDF. Eine Move-Liste soll mit dem nächsten Update nachgereicht werden, aber ich wundere mich, wie man so etwas Essentielles überhaupt vergessen kann? Wahrscheinlich hatten die Entwickler einfach etwas gegen Leute, die während der laufenden Kombo eines Kumpels mit den Worten "Ich muss nur eben den einen Move nachgucken" pausieren. Ich hasse so etwas. Aber diese Lösung ist trotzdem merkwürdig.

Bei nur acht Charakteren hat man die kurzen Movesets aber schnell auswendig gelernt, von daher muss man den PDF-Reader nicht allzu lange bemühen. Die Ausführung der Manöver ist trotz meines altbekannt wubbeligen Xbox-Steuerkreuzes simpel und knackig. Das Tasten-Layout orientiert sich an Street Fighter: Drei Punches und drei Kicks in verschiedenen Geschmacksstärken - das soll mal reichen. Natürlich gibt es Specials und Super-Specials, die dedizierte Energieleisten in unterschiedlicher Menge aufbrauchen, aber der Fokus liegt tatsächlich in der Kombination dieser mit den normalen Angriffen und der abwechslungsreichen Verkettung. Viel Konzentration wurde darauf gegeben, die Vergewaltigung durch loopende Combos, die in so ziemlich jedem Kampfspiel irgendwann entdeckt werden und kleinkariert herausgepatcht werden müssen, zu verhindern. Das passiert durch ein intelligentes System, welches erkennt, ob sich Moves wiederholen. Sobald dieser Fall eintritt, bekommt derjenige, der auf die Gosche kriegt, sofort einen Combobreaker spendiert. Das ist definitiv eine Verbesserung zu einer konsumierbaren Anzahl von Combobrechern oder solchen, die man sich erst verdienen muss.


Das bedeutet trotzdem nicht, dass man nicht böse vermöbelt werden kann. Mein erstes Match online endete in einer 60-Hit-Combo bestehend aus abwechselnden Aerial- und Ground-Attacken mit hereinstürmenden Custom-Assists (jeder Special eines Charakters lässt sich als Assist wählen) und einem Charakterwechsel, welche mir ohne mögliche Gegenwehr die halbe Energieleiste zockte. Nach dieser Demütigung saß ich versteinert in meinem Stuhl, offener Mund, eine einzelne Träne über meine Wange kullernd. Der Controller prallte vom Boden ab. Ich konnte natürlich nun nicht einfach den Schwanz einziehen und aufhören wie ein Feigling, doch gewonnen habe ich bisher noch nicht. Aber eines Tages...!
Der Lobby-Dienst liefert dabei gerade das Nötigste an Features. Man kann kleine Räume für einen weiteren Spieler öffnen oder Quickmatches veranstalten. Das war's. Immerhin ist der Lag sehr erträglich, auch wenn es merkwürdig ist, dass bei der Ping-Anzeige vor dem Match der empfohlene Delay nicht automatisch eingestellt wird, sondern man dort immer noch selbst Hand anlegen muss. Verpasst man das, weil man keine Ahnung hat, was die Zahl darstellen soll, dann hat man in der nächsten Runde auf jeden Fall einen Nachteil.

Immerhin präsentiert sich die CPU im Storymodus ein wenig zahmer, aber auch wenn man sich dort unvorbereitet mit einem Mädchen in den Ring wagt, wird man ganz schnell unter einer Welle von Schlägen begraben. Im Gegensatz zum Versus kann man sich hier allerdings nicht aussuchen, ob man lediglich mit einer megastarken, zwei superstarken oder drei normalstarken jungen Damen antritt.
...Oh, ja, Mädchen! Also, davon gibt es eine ganze Menge. Das Spiel heißt ja nicht umsonst Skullgirls. Das Charakterdesigns geht dabei von einer Millia-Rage-Haarmonsterfrau im Zeichenstil eines Josh Lesnick über ein Katzenmädchen, das unsterblich ist und all ihre Gliedmaße wegschleudern kann, zu einer Zirkusartistin, die zwei dicke Arme als Hut trägt und für die Mafia Leute wegbringt. Komplett mit explizitem Fanservice und allem - da mögen die Geschmäcker auseinandergehen, mir selbst ist es in diesem Spiel auf jeden Fall tatsächlich mal ein bisschen zu viel. Und ich habe normalerweise nichts gegen den ein oder anderen Pantyshot samt Augenzwinkern. Wir erreichen hier zwar keine Zeichentrickporno-Zustände, aber bei all dem Gewabbele weiß man manchmal wirklich nicht, ob die Designer es ernst meinten oder sich über die Stilform lustig machten. Hier liegen garantiert so viele Ironie-Schichten übereinander, dass selbst Leonardi DiCaprio sich nicht mehr zurechtfinden könnte.


Auf jeden Fall kommen unglaublich viele Bilder und Eindrücke zusammen, die sich in diesen wenigen Kämpferinnen kondensieren, trotzdem drängt sich zu keinem Zeitpunkt das Gefühl auf, dass hier etwas nicht passen würde. Der Stil des Spiels, der eine Menge Epochen vollkommen subtil übers Knie schlägt und mit einer schönen musikalischen Jazz-Komponente vereint, hat es mir echt angetan. Ganz zu schweigen davon, dass Animationen und Bühnenbilder einfach nur gut aussehen, da kann man nichts sagen.
Leider kommt es dem versierten 2D-Prügler-Spieler (und selbst solchen Untermenschen wie mir) schnell vor, als hätte er alles irgendwie schon einmal gesehen. Viele Moves und Posen haben eine so starke Homage-Persönlichkeit, dass es schon an Ideenlosigkeit grenzt. Originalität zu fordern ist natürlich schwierig, man kann nicht einfach einem Designer Blankopapiere auf den Tisch knallen und "Mach etwas vollkommen Neues!" verlangen; irgendjemand wird da am Ende immer in die Röhre gucken. Trotzdem ist gerade bei einer so begrenzten Charakteranzahl die eigene, frische Note ziemlich wichtig, wie ich finde. Naja, besser gut kopiert als.

Die Geschichte von Skullgirls ist übrigens schon recht motivationsgeladen und unüblich genug, nämlich gibt es ein sogenanntes Skull Heart, welches Mädchen Wünsche erfüllen vermag. Sind diese Wünsche aber nicht rein, verdreht das Skull Heart den Wunsch, verschlingt das Mädchen und transformiert es in das albtraumhafte Skullgirl. Leider ist die Umsetzung der einzelnen Geschichten weder spannend noch sonderlich bewegend, so dass man sie genauso gut auf eine Anfangs- und die Endsequenz hätte beschränken können, wie es in klassischen Arcade-Titeln üblich war. Wer hier ein Epos vom Umfang des Visual-Novel-ähnlichen BlazBlue-Storymodus erwartet, wird enttäuscht werden.

Skullgirls macht eine ganze Menge richtig, vor allem auf der Gameplayseite, aber ich könnte mir gut vorstellen, dass routinierten Beater-Gängern trotz interessanter Features wie dem Anti-Loop-System und der variablen Teamgrößen ein wenig das Frische und die Abwechslung fehlt. Außerdem zeigt der Mangel an Spielmodi abseits des Story-, Arcade- und Versusmodus und des nur sehr kleinen Kämpfer-Roster deutlich den Preis-Leistungs-Unterschied zu größer entwickelten Beatern der heutigen Zeit auf. Nichtsdestotrotz bietet das Spiel für Neulinge einen guten Einstieg ins höhere Verständnis dieses vielschichten Genres und für Profis eine gute Möglichkeit, ihre Combo-Fähigkeiten zu erweitern. Und manchmal macht's auch einfach nur Spaß, sich ein bisschen an Freunden auf der Couch abzureagieren. Rian

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25. April 2024 um 05:43 Uhr
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11. April 2012
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PC
Plattform - PC-Spiele haben mit die älteste Tradition. Heutzutage laufen die meisten Games unter dem Microsoft Windows.
Playstation 3
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