Phantasy Star Online

(Artikel)
Haris Odobašic, 04. April 2012

Phantasy Star Online

Der wahre Diablo-Killer

Nicht wenige Sega-Jünger waren erst mal enttäuscht, als sich herausstellte, dass das neue Phantasy Star für die Dreamcast kein epischer Final-Fantasy-Killer werden sollte, der die geballte Rechenpower der Dreamcast mit der hohen Qualität der Phantasy-Star-Serie kombinierte. Stattdessen sollte der neueste Teil der Serie zwar auch eine Story mit einem Einzelspielermodus bieten, aber der Fokus sollte klar daran liegen, das meiste aus den Online-Fähigkeiten der Dreamcast zu machen. Kaum jemand hätte zu dem Zeitpunkt erwarten können, dass Phantasy Star Online ein Vorreiter im Bereich des Online-Spielens auf einer Konsole werden würde. Der Komfort, den wir heute so gewohnt sind, mit Freundeslisten, Voice-Chats und allem drum und dran - das alles kannten wir damals noch gar nicht. Es war der Anbruch eines neuen Videospielzeitalters.

Dazu passte dann auch das Setting des Spiels perfekt. An Bord der Pioneer 2 landet ihr auf dem Planeten Ragol, welcher, nachdem der Heimatplanet Coral durch unzählige Kriege vollkommen verwüstet wurde, neuen Lebensraum für die Rassen der Phantasy-Star-Online-Welt bieten soll. Von einem kurz vorher entsandten Kolonisierungsschiff, der Pioneer 1, und ihren Crew-Mitgliedern fehlt bei eurer Ankunft aber jede Spur, so dass es nun an euch und den anderen Mitgliedern der Hunters Guild, einer Art Jobvermittlung für arbeitslose Söldner, liegt herauszufinden, was auf Ragol passiert ist.
Dabei lässt sich eine klare Parallele zum Spieler und dem Charakter, den man steuert ziehen. Denn genau wie der Charakter seine ersten Schritte in eine komplett neue und unbekannte Umgebung macht, war auch die Erfahrung für die damaligen Spieler vollkommen ungewohnt. Der Name des Raumschiffs war Programm: man war ein Pionier.

Mir persönlich sagte aber auch insbesondere das futuristische Design zu. Sicherlich dem großen Erfolg von Diablo 2 damals und World of Warcraft heutzutage geschuldet, findet nämlich traditionelles Hack'n'Slay - auch in Verbindung mit MMO - so gut wie nie in einem Nicht-Fantasy-Setting statt. Für mich hat sich das schon zu einer richtigen Antipathie entwickelt, dass ich insbesondere quietschbunte Fantasy-Spiele mit Elfen und Orcs gerne direkt ignoriere. PSO war da wie ein frischer Wind.

Doch neben dem Ungewohnten lag der vergleichsweise hohe Erfolg von Phantasy Star Online, der die Serie noch heute erhält, darin, dass es eben den altbekannten Suchtfaktor hatte. Immer wieder fand man eine Waffe oder ein Ausrüstungsstück, welches gerade das bisschen zu gut für den eigenen Charakter war und einen damit motivierte, noch etwas weiterzuspielen, um sich die positive Hormonausschüttung abzuholen, dafür, dass man im Spiel was erreicht hat. Dies wurde noch dadurch verstärkt, dass man die Waffen an den Charakteren sehen konnte. Wer also besonders seltene Beute ergatterte, fiel auch in der Community auf.

Zudem bot es in seinem Gameplay genug Einsteigerfreundlichkeit, um das auf Sega-Konsolen bisher nicht so weit verbreitete Action-RPG-Genre auch Nicht-Kennern schmackhaft zu machen. Generell hatten die meisten Waffen drei Attacken. Schnelle, aber schwache, sowie zwei langsamere Attacken -- eine normale, die aber extra Schaden macht und je nach Attribut der Waffe noch eine Spezialattacke. Diese konnten beliebig auf die vorderen Controllertasten belegt werden. In der Ausführung wurde die Geschichte aber etwas anspruchsvoller, denn wer die Knöpfe im richtigen Moment drückte, genau dann, wenn die alte Attacke gerade abgeschlossen war, konnte Combos ausführen.

Im RPG-Bereich zeigte sich Phantasy Star Online etwas karg, aber das sollte dem Spiel nicht schaden. Fertigkeitenbäume, wie sie heute in jedem drittklassigen Action-RPG Pflicht sind, bot Segas Onlineabenteuer gar nicht. Daher spielten sich auch die unterschiedlichen Klassen und Rassen meist nur minimal anders, primär in Abhängigkeit davon, ob man sich für Nahkampfwaffen wie die Lasersäbel entschied oder mit dicken Wummen aus der Distanz die Gegner aufs Korn nahm.
Wo man etwas mehr Einfluss hatte war bei den Mags, dem fliegenden Begleiter eures Charakters. Diesen konnte man verschiedene Items zum Essen geben, was wiederum bestimmte, welche Attribute sie bei eurem Charakter verbesserten. Um das maximale aus eurer Figur herauszuholen, war schlaues Füttern eures Mags Pflicht.

Ein weiterer Aspekt der PSO besonders machte, war die Community. Gerade heutzutage erlebt man es immer mehr, dass es eine Art regionale Segregation bei Online-Spielen gibt. Teilweise wird man direkt auf europäische oder gar länderspezifische Server gesteckt und hat nicht unbedingt die Möglichkeit mit einer internationaleren Gemeinschaft zu spielen. Das geht für mich zumindest ein bisschen gegen das Grundprinzip des Online-Spielens, denn wo liegt der Reiz darin, mit Michael und Franz aus der Nachbarschaft durch Ragols Landschaft zu ziehen, wenn einem theoretisch die Möglichkeit offen steht, mit Gamern aus aller Welt zu zocken?

Da Sega sehr bemüht war, gerade diese Möglichkeit bei der Dreamcast zu bewerben, warf man einem keine Steine in den Weg, wenn man mit Japanern, Amerikanern oder Franzosen zusammen spielen wollte. Um die Sprachbarriere dabei so klein wie möglich zu halten ließ sich Sega zwei genauso geniale wie innovative Ideen einfallen:
Ein spezielles Chat-System wurde entwickelt, das komplett auf die Controllersteuerung ausgerichtet war. Mit nur wenigen Knopfdrücken konnte man auf eine Sammlung von vielen hundert Phrasen und Satzbausteinen zugreifen, teilweise spielrelevant, teilweise eher im Bereich Small Talk anzusiedeln. Der Clou: diese vorgefertigten Phrasen wurden automatisch in die Sprachen der jeweils anderen Spieler übersetzt. Die Bedienung war dabei so intuitiv und schnell, dass man sich auch als keyboardloser Gamer nicht vollkommen aufgeschmissen fühlte, insbesondere weil man nicht gezwungen war, umständlich Buchstabe für Buchstabe häufig genutzter Sätze einzutippen.
Ergänzt wurde dies durch den Smiley-Baukasten, in dem man der Kreativität freien Lauf lassen konnte, um sich Symbole zusammenzustellen, die man sowohl zur Belustigung der Mitspieler nutzen konnte, aber auch um komplexe Sachverhalte wie "AAAAAH! ICH STERBE! IIIICH STEEERBEEEEE~~EE!!! HEILUNG BITTE!" schneller als mit dem Chat-System auszudrücken.

Sega kümmerte sich dabei in der Zeit des Bestehens sehr liebevoll um Phantasy Star Online. Regelmäßige Events und neue Quests sollten das Spielerinteresse aufrecht erhalten und gerade die richtigen Sega-Fans wurden ein ums andere Mal mit ganz besonderen Schmankerln belohnt. Eine herunterladbare Quest ließ einem im Wald von Ragol Feuerwehrmann spielen, während im Hintergrund Angels with Burning Hearts aus Burning Rangers für eine Gänsehaut sorgte, wieder andere Missionen ermöglichten es euch an der Seite von Sonic und Co. zu kämpfen.
Hinzu kamen viele versteckte Goodies wie lustige Waffen, unter anderem Blumensträuße und Bratpfannen, die meist nur durch besondere Leistung zu erreichen waren und deswegen ihre Besitzer in der Masse herausstechen ließen. Und wer sich besonders viel Mühe gab, konnte sogar spezielle Mags ergattern in der Form von Segas alten Konsolen.

NOLing: Euer Charakter wird in einen Level 5 NPC aus einer der ersten Spielquests namens Nol verwandelt. Schnelles Ausmachen der Konsole war die einzige Möglichkeit zu verhindern, dass man permanent zu Nol wird.
Doch auch wenn Phantasy Star Online wohl zu den besten Spieleerfahrungen zählte, die man damals machen konnte, gab es ein massives Problem: Cheater und Hacker. Auch wenn es kaum ein Spiel gibt, das nicht unter ihnen leidet, hatte man bei PSO besonders das Gefühl, dass Sega ihnen machtlos ausgeliefert war. Neben den wenigen freundlichen Hackern, die einem einfach mal so coole Items in die Hand drückten und maximal das eigene Spielergewissen angriffen, war die Mehrheit daran interessiert euch zu schaden. Glückliche Spieler wurden nur getötet oder geNOLed, die richtig armen Schweine durften sich über einen gelöschten PSO-Spielstand oder eine komplett korrupte VMU freuen. Gerade wenn man schon dutzende bis hunderte Stunden in einen Charakter gesteckt hatte, schmerzte dieser Verlust besonders und sorgte dafür, dass PSO stellenweise im Internet fast unspielbar wurde, da viele Spielelobbies nur noch mit einem Passwort zugänglich waren aufgrund der weitverbreiteten Paranoia.

Später kam noch eine Erweiterung für die Dreamcast heraus, die das Levellimit glatt verdoppelte: von 100 auf 200! Doch das war nicht das Ende der Fahnenstange, es folgten Ports für Xbox und Gamecube, die noch mal fünf zusätzliche Gebiete zu den bereits verfügbaren vier Arealen hinzufügten und einen Splitscreen-Modus boten, außerdem einen besseren Schutz vor Cheatern. Einige Jahre später releaste Sega mit Phantasy Star Online: Blue Burst eine überarbeitete PC-Version mit noch mehr Content, die aber, auch aufgrund der monatlichen Gebühren, keinen Fuß fassen konnte. World of Warcraft hatte zu dem Zeitpunkt schon die PC-Welt im Sturm erobert und PSO:BB hatte einfach nicht den Umfang, um mit einem richtigen MMORPG zu konkurrieren.

Doch ganz tot, auch jetzt, zwölf Jahre nach Erscheinen, ist Phantasy Star Online noch immer nicht. Hobby-Projekte haben dazu geführt, dass es einige Server gibt, die es PSO-Fanatikern auch nach Abschaltung der Sega-Server ermöglichen weiterzuspielen -- und das nicht isoliert. Stattdessen können Gamecube, Dreamcast und PC-Spieler sich gemeinsam der Erforschung Ragols widmen. Auf Schthacks Server, dem wohl mit Abstand bekanntesten Projekt dieser Art, finden sich zu eigentlich jeder Zeit mehrere hundert Spieler aus aller Welt und so ist es auch Neulingen nicht vergönnt nachzuerleben wie es wohl gewesen sein muss, die ersten Schritte in ein neues Konsolenzeitalter zu gehen. Evil

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