Rekursives Kofferpacken

(Artikel)
Rian Voß, 21. Juni 2011

Rekursives Kofferpacken

Einfache Spielerlebnisse für die ganze Familie

Videospiele sind zwar schön und gut, aber manchmal kann man sich auch herrlich mit Spielen aus Kindertagen vergnügen - damals, als man die Regeln mit zwei Beispielen erklären konnte und ansonsten der Learning-by-doing-Ansatz des "NEIN, DAS DARFST DU NICHT!"-Schreiens verfolgt wurde. Nehmen wir zum Beispiel Kofferpacken oder klassisches Fangen. Nun sind wir natürlich alle älter und schlauer geworden, aber das heißt ja noch lange nicht, dass diese vergnüglichen Zeitvertreibe ihren ganzen Reiz eingebüßt haben. Man muss aber vielleicht die Regeln ein klein wenig... modifizieren, um sie einem älteren Publikum schmackhaft zu machen. Etwa durch Rekursion.

Wem Rekursion so gar nichts sagt, etwa weil ihr in der Schule (verständlicherweise) besseres zu tun hattet als quadratische Funktionen dritten Grades gegen die X-Achse zu integrieren (wie konntet ihr nur?!), dem erkläre ich es gerne kurz: eine mathematische Funktion ist im Grunde nichts anderes, als dass der Begriff "Funktion" verstehen lässt - man steckt in die Funktion etwas rein (z.B. einen Namen), die Funktion arbeitet dann ein bisschen und heraus kommt ein Ergebnis (z.B. eine Telefonnummer). Rekursion nennt man das dann, wenn man Funktionen hat, die man in sich selbst hineinstecken kann.
Aber warum sollte man so einen Unsinn tun?! Nun, man kann damit etwa prima die soundsovielte Fibonacci-Zahl ausrechnen - wenn ihr auf sowas steht. Ihr sagt der Funktion: "Okay, Funktion! Gib mir die fünfte Fibonacci-Zahl!" und die Funktion sagt "Okay!" und rechnet dann mit sich rum, erst mit der Zahl fünf. Dann rechnet es noch mal mit der Zahl vier, dann der drei, dann der zwei, dann der eins und bei der eins weiß die Funktion, dass sie aufhören darf und am Ende werden all diese aufeinander beruhenden Zwischenergebnisse aufeinandergeklatscht und dem nun zufriedenen Fibonacci-Fetischisten präsentiert. Könnt ihr mir noch folgen? Nicht? Na, macht nichts, das rekursive Kofferpacken ist da sehr anschaulich. Das ist zwar hier alles nicht so richtig wirklich echt rekursiv im mathematischen Sinne, aber wir sind ja alle Populärwissenschaftler!

Rekursives Kofferpacken
Die Spielregeln sind ganz einfach, nämlich eigentlich genauso wie beim normalen Kofferpacken: man startet bei einem Koffer und jemand fängt an, indem er sagt "Ich packe meinen Koffer..." und dann tut er etwas in diesen Koffer hinein, z.B. eine Ente. Der nächste muss dann das wiederholen, was der letzte in den Koffer getan hat (also die Ente), und legt noch etwas dazu (z.B. einen Hund). Und das geht dann immer so weiter, bis einer nicht mehr alles aufzählen kann.
Aber was ist, wenn man neben ganz handelsüblichen Dingen, wie Enten oder Elefanten, auch noch einen Koffer in den Koffer legt? Diesen Koffer könnte man dann wieder mit Sachen befüllen, so dass wir zuzüglich zum normalen Spielprinzip auch noch eine Ordnungsstruktur hinzugefügt haben. Ein grafisches Beispiel:


Eine richtige Wiederholung aller Kofferinhalte wäre dann: "Ich packe meinen Koffer, und in diesen Koffer packe ich drei Koffer und eine Ente. In den ersten Koffer packe ich einen Koffer und ein Feuerwehrauto (beliebige Reihenfolge), in den zweiten Koffer packe ich eine Zahnbürste und einen Koffer und in den dritten Koffer packe ich einen Koffer. In diesen Koffer packe ich nun einen Koffer."

Wir haben dieses Spiel bereits ausgetestet und es macht tatsächlich mehr Spaß als das übliche Kofferpacken!

Rekursives Ticken
Die Regeln vom Ticken sollten jedem bekannt sein: jemand ist "dran" und wenn dieser jemand anderen berührt, ist der andere "dran", nur darf man natürlich niemanden ticken, der einen als letztes schon getickt hat. Wer nicht "dran" ist, möchte es auch nicht sein, und läuft deswegen weg.
Wir heizen die Sache nun durch ein Strafpunkte-System auf, wobei wir uns folgende mathematische Formel zur Hilfe nehmen:


i ist dabei die Tiefe der Rekursion, k ist die Anzahl an Spielern, die an einem Level teilnehmen und ni' ist die Strafpunkteanzahl der Spieler in diesem Rekursionslevel. Wie man ganz klar sieht, erhält der Spieler, der als erstes dran ist, keine Strafpunkte. Tickt er nun jemanden, wird die Funktion f aufgerufen und der tickende Spieler nimmt am nächsten Rekursionslevel nicht mehr teil (was durch k - i - 1 ausgedrückt wird), wodurch er keine weiteren Strafpunkte erhält. Die übrigen Spieler des Rekursionslevel erhalten die durch die Funktion ausgedrückte Menge an Strafpunkten und müssen unter sich eine weitere Runde Ticken spielen. Wer als letztes in der Rekursion übrig bleibt, erhält die meisten Strafpunkte und ist im neuen Rekursionsdurchgang auf dem höchsten Level, bekommt also in der nächsten Runde keine Strafpunkte.

Das Ganze ist jetzt etwas komplizierter, fürchte ich, also nehme ich noch einmal eine Beispielgrafik mit vier Spielern zur Hilfe:


Das Coole ist jetzt natürlich, dass man Rekursion auf viele Spiele, die ihr so kennt, anwenden könnt, um damit euren Kindertage-Erinnerungen eine ordentliche Würze zu verleihen. Probiert es mal aus! Zumindest das rekursive Kofferpacken kann für eine Menge Spaß sorgen! Rian

Kommentare

Jozu
21. Juni 2011 um 21:59 Uhr (#1)
Rekursives "Ich sehe was, was du nicht siehst"?
Rian
21. Juni 2011 um 22:27 Uhr (#2)
Ich will noch anmerken, dass bei der Fangen-Grafik die Kreise die verschiedenen Fangen-Ebenen sind und nicht die vier verschiedenen Spieler!
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20. April 2024 um 14:19 Uhr
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