Games und Glücksspiel

(Artikel)
Rian Voß, 28. Februar 2013

Games und Glücksspiel

Warum funktioniert das?

Reine Glücksspiele findet man im virtuellen Raum zuhauf. Insbesondere Poker hat im letzten Jahrzehnt einen riesigen Aufschwung zu einer internationalen Sportart geschafft, wofür die große Anzahl existierender Poker-Seiten, aber auch viele im Kleinen produzierte Games, die man bei Saturn vom Grabbeltisch mopsen kann, sprechen. Nicht zuletzt sind die Online-Marktplätze von Vertretern des Mainstream-Glücksspiels geradezu überschwemmt und versuchen mit diesen und jenen Features interessierte Spieler zu haschen - so etwa die verschiedenen Gastauftritte bekannter Figuren aus der Gaming-Sparte in Poker Night at the Inventory.
Aber Poker ist natürlich nicht die einzige Methode, mit der man virtuelles und echtes Geld umsetzen kann. Wenn ich genug grabe, findet sich in meiner Spielesammlung bestimmt auch noch ein von Sat.1 produzierter Yahtzee-Simulator. Doch es gibt nicht nur eigenständig produzierte Video-Glücksspiele, sondern auch in großen Titeln, die an und für sich nichts mit Wetteinsätzen zu tun haben müssen, sind Karten, Würfel und Steinchen keine Seltenheit.


Erhöhte Herzfrequenz, wenn man bei Far Cry 3 mit dem Oberschurken zockt.

Besonders auffällig ist der Zusammenhang mit Spielen, die über eine Open-World-Komponente verfügen. Wer sich in den letzten Jahren nicht ganz diesem Typus verschlossen hat, dem werden sofort Beispiele einfallen. Ob man sich nun in Far Cry 3 oder Red Dead Redemption für eine gemütliche (oder nervenaufreibende) Partie Texas Hold'em an den Stammtisch setzt, bei The Witcher 2 die Pokerwürfel zückt oder in Sleeping Dogs bei Mahjong zum Millionär wird - Glücksspiel scheint die Illusion der Freiheit solcher Spiele zu unterstützen. Das ist keine neue Erscheinung: meine deutlichste Erinnerung an Glücksspiel in einem Videospiel reicht mit Shenmue 2 bis 2001 zurück, wo ich mehrere Stunden am Stück (oder wenn Ryo Hazuki mal wieder ein wenig Leerlauf hatte, bis seine nächste Verabredung anstand) das an Pachinko angelehnte Lucky Hit suchtete oder bei Entenrennen meine letzte Kohle auf den Kopf haute. Nicht zu vergessen das kleine Vermögen, das ich in Figürchenautomaten gelassen habe. Auch der spirituelle Nachfolger von Shenmue, Yakuza, lässt den Tokyo-Touristen voll in fernöstlicher Glücksspielsucht aufgehen.

Es gibt nun viele mögliche Gründe, warum Poker & Co. gerade aus Open-World-Spielen kaum wegzudenken sind. Jeder von uns ist auf die eine oder andere Weise vor allem mit geselligeren Formen der Barunterhaltung bekannt - Darts, Billard, Doppelkopf. Spiele mit einer frei erkundbaren Welt legen großen Wert darauf, dem Spieler ein Setting an die Hand zu geben, mit dem er nicht vertraut ist. Wenn man einmal von der umfassenden Abhandlung westlicher Mafia-Organisationen im Stile von GTA absieht, sind Schauplätze wie der Wilde Westen, Hong Kong oder eine Südsee-Insel im Bürgerkrieg doch etwas befremdlich. Die relativ einfache Umsetzung eines Glücksspiels in Form eines optionalen Minigames bringt jedoch bekannte Elemente in die Welt, insbesondere wenn es in Mass Effect um die Weltraum-Version von Black Jack, Quasar genannt, geht.
Andererseits wird einem auf spielerische Art und Weise eine andere Kultur näher gebracht. Etwa das eben erwähnte Pachinko findet seinen Weg in den alltäglichen Sprachgebrauch nicht allzu häufig, aber wenn man erst mal ein paar Runden Bälle über Pins hüpfen ließ, vergisst man nur allzu leicht, dass man ja eigentlich für das Spiel drumherum gezahlt hat.
Natürlich darf man auch nicht den Reiz außer Acht lassen, dass man Mittel oder Objekte erhält, die einem das restliche Spiel erleichtern. Wenn sich vier vom DPad zusammenschließen, um in Moxxi's Bar stundenlang an einarmigen Banditen zu ziehen, dann ist klar: in Borderlands 2 wird wieder um neue Ausrüstung gegaunert. Letztlich sind diese Minispiele eine gelungene Abwechslung, um sich von actiongeladeneren Teilen des Spiels zu erholen. Anstatt dass man nach einer spannenden Verfolgungsjagd speichert, die Konsole aus macht und mal draußen spazieren geht, hockt man sich lieber an den nächsten freien Pokertisch und zieht dort die KI-Kameraden ab. Das Ganze hat schon fast den psychologischen Charakter eines Einkaufszentrums: Die Leute so lange wie möglich drin halten. Bei Videospielen steigt so der Immersionsfaktor, die Welt wird realer und der Spieler zufriedener, weil er sich dort immer mehr wie zu Hause fühlt.


Lucky Hit zieht einem im Hong Kong von Shenmue 2 das Geld aus der Tasche.

Das mag ein persönlicher Eindruck sein, aber vielleicht ist das auch der Grund, warum ich mich in Ablegern der Assassin's-Creed-Reihe beim Betreten der historischen Schauplätze immer ein wenig fehl am Platz und sogar gestresst fühlte: es gibt keine kleinen Ablenkungen am Wegesrand. Jede Interaktion mit den NPCs geht entweder um Leben und Tod, stellt eine Verfolgungsjagd dar, ist Arbeit oder mit der Geschichte verbunden. Der Rest der Atmosphäre, die durch das Tagewerk der KI entsteht, ist rein optischer Natur. Angucken, aber nicht anfassen! Erst Assassin's Creed 3 hat den lange existierenden Trend der kleinen Ablenkungen aufgeschnappt.

Glücksspiele sind mit vielen Aspekten unserer Kultur verbunden, sei es nun auf einer gesellschaftlichen, einer finanziellen oder einer Wettkampf-Ebene. Auch Videospiele konnten sich diesem Einfluss nicht entziehen und treiben die symbiotische Beziehung voran: Die Vertrautheit von Glücksspielen macht uns eine Videospiel-Welt sympathischer und der Einsatz dieser in einer Videospiel-Welt verbreitet wiederum das Glücksspiel und verflechtet es mehr in unserer Gesellschaft. Es ist wohl ein Prozess, der die Menschheit bis zu ihrem Ende begleiten wird, und daher auch von einem der frischesten Kinder der Unterhaltungsbranche nicht ignoriert werden konnte. Rian

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