Hotline Miami

(Artikel)
Rian Voß, 05. November 2012

Hotline Miami

Blut und Morde per Festnetz

Wenn das Telefon klingelt, geht man ran. Das ist klar. Aber wenn die Stimme am Hörer einem sagt, man soll in eine bestimmte Straße gehen und eine Gruppe böser Jungs töten - das würden nicht alle machen. Aber genau das scheint dem namenlosen Hauptcharakter von Hotline Miami zu passieren, denn Woche für Woche bekommt er in seiner Drei-Zimmer-Wohnung einen neuen, ominösen Anruf, der ihm eine Adresse nennt, wo eine Horde bewaffneter Männer auf ihren vorzeitigen Tod wartet. Und wir leisten Folge. Also: Gummimaske aufgesetzt, Baseballschläger gezückt - es wird Zeit, einen Psychopathen zu spielen!

Das Spiel von Dennation Games nimmt dabei gleich zu Beginn kein Blatt vor den Mund, denn in den ersten Spielsekunden bringt einem ein Obdachloser bei, wie man Menschen tötet. Kurz darauf findet man sich in einem schlecht beleuchteten Raum mit drei Männern wieder, von denen jeder eine Maske trägt. Einer als Hahn, der nächste als Eule und der letzte als Pferd. Sie reden kryptisch daher, wissen anscheinend mehr über uns als wir selbst und schon hier sollte klar sein, dass unser Hauptcharakter irgendwas an der Waffel hat. Das soll der Gewalt aber keinen Abbruch tun, denn sogleich kommt der erste Anruf und voller Arbeitseifer stürzen wir uns ins Getümmel.


Ziel einer jeden Mission ist es, ein Gebäude von bewaffneten Männern zu säubern. Dazu sind alle Mittel recht: Kochtöpfe, aufgestoßene Türen, Schießprügel, Schwerter oder die bloßen Fäuste kommen zum Einsatz, um in einer Vogelperspektive - wie bei den ersten GTA-Spielen - seinen Auftrag zu erledigen. Während das Tutorial sehr straightforward wirkt und tatsächlich ein bisschen GTA-Feeling aufkommen lässt, geben einem die ersten echten Spielminuten ein vollkommen anderes Gefühl.
Will man in den engen, urbanen Leveln bestehen, kann man entweder gute Reaktionen haben oder man ist sneaky. Auch kann man Feinde anlocken und ihnen ums Eck auflauern oder sie mit stumpfen Gegenständen bewerfen. Letzteres führt zwar nur zu einem KO, aber mit wenigen Hieben einer blutigen Faust verwandelt sich auch das schönste Mafiosogesicht durch Druck der Hinrichtungstaste in unansehnlichen Matsch. Egal, wie man spielt, man kommt schnell dahinter, dass es hier trotz der fliegenden Gedärme einen nicht unbeachtlichen strategischen Aspekt gibt, der ein klein wenig an die Vielfalt eines Frozen Synapse erinnert - nur eben ohne wirklich intelligente Gegenspieler.
Natürlich wollte ich zuerst den Sam Fisher machen und am besten niemals gesehen werden, aber irgendwann muss man einfach feststellen, dass Sterben nicht schlimm genug bestraft wird, als dass man nicht ständig die berechenbare Gegner-KI ausnutzen könnte. Dann stürm man einfach ständig Räume, lockt Feinde hinter sich her und lauert ihnen an Ecken auf, wo man mit einem Baseballschläger und einem zielsicheren Klickfinger schnell ein Dutzend Gegner in wenigen Augenblicken legen kann.
Das soll aber nicht heißen, dass Hotline Miami einfach wäre. Man kann das Geheimnis der mysteriösen Telefonanrufe zwar an einem Abend lösen, allerdings benötigt man dafür schon etwas Ausdauer, Planung und Glück. Manchmal geht einfach bei der Raumstürmung etwas schief: Man haut knapp daneben, hat nicht mit dem Shotguntypen hinter dem Fenster gerechnet oder ein Feind, den man für tot gehalten hat, rappelt sich wieder auf und zimmert einen das Brecheisen über den Schädel. Meistens bedeutet jeder sonstwie geartete Treffer den sofortigen Tod, aber wo die Männer in den weißen Anzügen mal Schwein haben können, lächelt einem Fortuna auch ab und an zu und lässt einen eine Kugel mit zusammengebissenen Zähnen wegstecken. Kaum etwas in Hotline Miami ist schöner, als einen ordentlich vermurksten Plan durch ein wenig Geschick und eine Menge Panik doch noch zum Besseren zu kehren - und im Anschluss das Bad des Blutes um einen herum zu bewundern.

So was ist allerdings selten. Wenn mal was schief geht, bedeutet das in den allermeisten Fällen, dass der letzte Checkpoint geladen werden darf. Und hin und wieder passieren Sachen, die einen noch nach tausend Versuchen überraschen. Das liegt vor allem an der doch sehr beschränkten und wankelmütigen KI: Manchmal kommen nach einem gelösten Schuss sämtliche Gegner der Karte zielstrebig auf unsere Position zu gerannt (immerhin kann man sich noch schnell verstecken, wenn man auf keine weitere Konfrontation aus ist), andere Male nehmen die Typen im Nachbarraum ein Schrotflintengewitter nicht wahr. Und häufig ist es Gegnern vollkommen egal, wenn ihre Kollegen direkt vor ihnen ein Messer zwischen die Augen bekommen. Solange sie den Werfer nicht dabei beobachten, ist alles ein typischer Dienstag. Schleichen ist ohne entsprechende Maske und deren Spezialfähigkeiten allerdings auch nicht immer möglich, denn die Augen in den Hinterköpfen der Gegner sehen uns immer irgendwann. Da kann man noch so sehr eine Taste zum geduckten Gehen suchen - das einzige, was zählt, ist Geschwindigkeit! Immerhin lernt man sehr schnell durch seine Fehler und durch die rasante Rückkehr nach dem Ableben kann man immer neue Erkenntnisse in seine Taktiken einpflegen. Das scheint auch durchaus so vom Entwickler gewollt zu sein - bei so einem absurden Spiel gehört der Tod dann auch mal zum Gameplay dazu.
Wogegen man sich allerdings nicht wappnen kann, sind Bugs. Es ist mir mehrfach passiert, dass Gegner einfach mal so durch Wände flutschten oder epileptisch in geöffneten Türen hängen blieben. Einmal habe ich in Panik auf mehrere Tasten gleichzeitig gedrückt, daraufhin war die Leertaste zum Exekutieren nicht mehr benutzbar. Aber das war okay, denn mein Spielercharakter hat sich verdoppelt, verfügte über unendlich Munition und wurde unsterblich. Ja.


Masken können die Art, wie man an einen Level herangeht, grundlegend ändern. Manche machen, dass man schwerer entdeckt wird, eine andere verwandelt das Öffnen von Türen in einee tödliche Waffe oder vergrößert das Zeitfenster für den Combo-Zähler. Leider gibt es auch einige Vertreter, deren Eigenschaften man erst erraten muss. Ich weiß bis heute nicht, was der Maulwurfkopf macht, dessen Beschreibung nur "Darkness" sagt. Einen Vorteil konnte ich jedenfalls nicht ausmachen. Und den Fischkopf, der alles auf Französisch übersetzt, habe ich mir auch mal vornehm erspart.

Ein Ausbruch aus dem regulären Gameplay sind die Bosskämpfe. Hier hat sich irgendjemand gedacht, dass epische Auseinandersetzungen eine gute Idee wären. Was bei God of War funktioniert, sollte überall funktionieren, oder? Ich weiß auch nicht, wer auf so einen Blödsinn gekommen ist. Die Bosskämpfe sind hardcore und haben inhaltlich eigentlich nie etwas mit dem restlichen Spiel zu tun. Das Schlimmste ist, dass diese Kämpfe kaum mehr als geheime Quicktime Events darstellen, wobei gerade einer gegen Ende heraussticht: Erst muss man sich einen Pokal schnappen, um zwei Wildkatzen zu erschlagen. Die anschließende Ninjafrau muss man dann zwingend mit der Trophäe abwerfen - was anderes geht auch nicht, denn die Schlagtaste ist plötzlich blockiert. Das habe ich natürlich erst nach zehn Versuchen gerafft, in denen ich mich immer erst an den beschissenen Katzen vorbeiquälen musste. Anschließend sollte der dicke Gangsterboss mit den Messern, die aus der Ninjafrau herausfielen, abgeworfen werden. Nach dem ersten Angriff verliert er ein Maschinengewehr. Dieses darf man aber nicht aufnehmen und den Typen einfach abknallen, sondern man muss weiterhin die doofen Messer benutzen. Hier muss man einfach raten, was die Entwickler von einem wollen, und meistens rät man falsch. Ein einziger Fehler führt da unweigerlich zum Anfang des Kampfes.


Ich habe bei den möglichen Inspirationen irgendwann mit dem Zählen aufgehört. No More Heroes, GTA, GTA: Vice City, Frozen Synapse, Bonanza Bros., der Film Drive… Es gibt sicherlich noch mehr.
Trotz des absoluten Gameplayfokus verfügt Hotline Miami doch über sowas wie eine Geschichte und eine Moral. Gewalt spielt in Hotline Miami ein merklich gewichtiges Thema. Die meiste Zeit verbringt man schon damit zu überlegen, wie man Menschen um die Ecke bringt, klar. Sollte einem eigentlich schon zu denken geben, wenn man so was kalt kalkuliert. Aber es werden auch starke Untertöne vermittelt, die einen mitreißen und ein gewisses Unwohlsein in einem auslösen: Wie würde man sich fühlen, wenn man irgendwo abhängt, es kommt ein kranker Typ mit einer Tiermaske rein und schlägt ohne ein Wort alle deine Freunde zu Brei. Und du bist als nächstes dran.
Als Veterankonsument twistiger Filme und Videospiele war für mich die erste halbe Stunde auf einer Analyse-Ebene schon sehr spannend: Durch die kalte Dusche, durch die man in die Geschichte geworfen wird, weiß man nicht, was alles auf was für eine psychische Störung hindeuten kann. Die Masken, stehen sie für multiple Persönlichkeiten? Die leicht wankenden Level für Labilität? Und die gesichtslosen Feinde? Ich bin bis zur Auflösung aber nicht drauf gekommen. Von daher gibt es sogar so etwas wie einen story-basierten Wiederspielwert, der einem einen zweiten Durchgang noch einmal etwas versüßt.
Ich hätte es an dieser Stelle wirklich beeindruckend gefunden, wenn das Ende des Spiels die zweite Hälfte eingeleitet hätte anstatt nur den Epilog. Hier wäre enorm viel Potenzial gewesen, um dem Spieler den Kopf zu verdrehen - stattdessen muss man sich mit einem einzigen, soliden Aha-Moment zufrieden geben.


Wo das Spiel so richtig dick aufträgt, ist der Stil. Jeder Quadratzentimeter von Hotline Miami riecht nach 80er-Jahren an der nordamerikanischen Südostküste: Schrille, bunte Farben springen einem von allen Seiten ins Gesicht und lassen Erinnerungen an Vice City wieder lebendig werden. Und das ganze Szenario hat auch irgendwas von einer guten No-More-Heroes-Kopie - gesichtslose Männer in Anzügen werden abartig brutal von einem wirren Typen in Blutpfützen verwandelt, während eine surreale Geschichte ihren Lauf nimmt? Das ist in Ordnung!
Die Musik ist sich da auch nicht zu schade, noch einen drauf zu setzen: verschiedene Interpreten haben ihren Senf dazugegeben und heraus kam eine Mischung aus Industrial, Trance, Psychedelic, Electro, Jazz und eingängigen Synthie-Sounds. Ich kenne mich bei Musikgenres eigentlich nicht wirklich aus, aber selbst meine Ohren erkennen, dass der Soundtrack von Hotline Miami überall und nirgends ist. Zu gefallen weiß er trotzdem.

Hotline Miami ist so ein Spiel, das einen sehr richtigen Weg eingeschlagen hat, aber dem auf halber Strecke die Puste ausging: Die optischen Effekte sind sehr schön, aber die Grafiken werden einen faden MS-Paint-Beigeschmack nicht los. Die Spielmechanik treibt auf eine adrenalinhaltige Art und Weise gleichermaßen das Hirn und die Reaktionen an, ist aber in sich nicht 100%ig konsequent und wartet nur darauf, dass die Schwächen der KI vom Spieler ausgenutzt werden. Und der Story-Twist ist zwar ein ordentlicher, aber es fühlt sich so an, als wäre hier zu viel auf eine einzige Karte gesetzt worden. Spielenswert ist Hotline Miami auf jeden Fall, andererseits trotz seiner Quirligkeit kein Garant dafür, dass es einem ewig in Erinnerung bleibt. Rian

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29. März 2024 um 02:01 Uhr
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RELEASE
23. Oktober 2012
PLATTFORM
Mac
Plattform
PC
Plattform - PC-Spiele haben mit die älteste Tradition. Heutzutage laufen die meisten Games unter dem Microsoft Windows.

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